Text: Ines Witka / Foto: Klaus Dieter vom Wangenheim_Pixabay
Frühlingssüße
Lisa sah durch den Spion. Ein junger Mann stand vor der Tür. Seine Augen lagen im Schatten seines großen, breitkrempigen Hutes verborgen. Seine Nase war schmal geschnitten, seine Wangen von der Luft gerötet. Über der schöngeschwungenen Oberlippe lag ein leichter Flaum. Unter dem Hut quollen haselnussfarbene Locken hervor. Lisa schaute alle Menschen, die unangekündigt bei ihr klingelten, sehr genau an. Schließlich hatte sie genügend Filme gesehen, in denen Frauen schlimme Dinge zugestoßen waren, wenn sie dem „Falschen“ die Tür öffneten. Dieser Typ vor ihrer Tür schien Zeit zu haben. Er schaute weder genervt noch ungeduldig, wie die meisten Paketboten, die von einem Bein aufs andere traten und sofort wieder davon spurteten, kaum, dass sie geklingelt hatten. Außerdem wäre er als Paketbote definitiv falsch gekleidet. Sein weißes Hemd mit Rüschen, die grüne Brokatjacke mit goldenen Streifen passten eher in das Zeitalter der Renaissance als ins 21. Jahrhundert. Er schien diesen langen Moment vor ihrer Tür zu nutzen, um seinen Träumen nachzuhängen. Lisa zuckte zurück als die Türglocke erneut ertönte. Als sie nochmals durch den Spion schaute, war sein Gesicht hinter einem Frühlingsstrauß verschwunden. Das erklärte natürlich alles: Seine Kleidung, seine Geduld und die Blumen – er war ein Bote des Blumenhauses am Hofgarten. Sie öffnete die Tür.
»Hallo Lisa«, überraschte der Bote sie mit einem freundlichen Lachen. Erst als er den Hut abnahm, erkannte sie ihn.
»Fabian! Was machst du denn hier? Ich dachte, du bist in Innsbruck, auf dieser Floristenschule.« Nun war sie froh, dass sie dieses ärmellose kurze Kleid anhatte, das ihren Körper locker umspielte und in dem sie sich begehrenswert fühlte.
»Seit einer Woche bin ich Meisterflorist.« Er deutete eine leichte Verbeugung an. »Als ich hörte, an wen dieser Frühlingsstrauß gehen soll, habe ich die Auslieferung persönlich übernommen.«
Ihr Herz schlug ein bisschen schneller, was Lisa überraschte. »Hat den Strauß meine Mutter bestellt?« Sie kräuselte die Stirn. »Heute Abend wird sie mich anrufen, und in ihrem Lehrerinnenton jeden einzelnen Blumennamen wissen wollen.«
Fabian lachte. »Ich kann mich gut an ihre strenge Stimme erinnern, wenn sie die Lateinvokabeln abgefragt hat.« Klar kannte er ihre Mutter. Schließlich waren sie an derselben Schule gewesen und er der heißeste Typ, den Lisa damals nur aus der Ferne anschmachtete.
»Könntest du mir die Blumennamen beibringen? Natürlich kann ich eine Tulpe von einer Rose unterscheiden, aber in deinem Strauß kann ich nicht eine benennen und wie ich Mutter kenne, hat sie genau das bezweckt. Außerdem will sie auch immer die wissenschaftlichen Namen hören.«
Um seinen Mundwinkel spielte ein zustimmendes Lächeln. Er folgte ihr zum Esstisch aus Eichenholz, auf dem ihre Bücher lagen. Sie schrieb gerade das fünfte Kapitel ihrer Masterarbeit in Archäologie. Es war ein wunderbarer Frühlingstag und die Sonne füllte das Zimmer mit Wärme und Licht.
Er legte den Strauß auf die einzige freie Stelle des Tischs, zog ein Messer aus der Hosentasche, klappte die Klinge aus und zerschnitt das Band. Der kunstvoll gebundene Strauß fiel auseinander und Fabian wählte die erste Blume aus. »Die Narzisse steht für den erwachenden Frühling und für Fruchtbarkeit. Narcissus pseudonarcissus.« Die nächste Pflanze in leuchtendem Tintenblau mit einem orangefarbenen Mittelstreifen hielt er ihr unter die Nase. »Riecht sie nicht wundervoll? Das ist eine Iridodyctium reticulata, auch als Netzblatt-Iris bekannt.«
»Ein Klatschmohn«, sagte Lisa. Er war überall behaart, an den Blättern, am Stängel, die kugelförmige Blütenknospe selbst.
»Stimmt. Das ist die grüne Knospe einer Mohnblume, bereit sich zu öffnen. Es gibt sie in einer Vielzahl von Farben und Formen. Ihr wissenschaftlicher Name: Papaver rhoeas. Sieh hier, wie das zarte rosa Mohnblatt bereits hervorblitzt. Wenn sie erblüht wirkt sie so zerbrechlich. Ich liebe sie ganz besonders.«
Beinahe fünf Minuten stand Fabian da, zeigte jeweils eine Blume und nannte ihr deren deutschen und lateinischen Namen. Sie versuchte sich die Namen zu merken, indem sie sie wiederholte. Doch sie konnte sich nicht konzentrieren. Wie poetisch er sich ausdrückte, wenn er über die Blumen sprach. Außerdem hatte sie das Gefühl, dass alles, was er sagte oder zeigte erotisch aufgeladen war. Können Pflanzen erotisch sein oder war sie einfach außergewöhnlich fantasievoll?
»Findest du es merkwürdig, dass einzelne Blüten mich an Partien des menschlichen Körpers erinnern?«, fragte sie schließlich.
»Nein, gar nicht. Pflanzen haben wie wir Geschlechtsorgane und die stellen sie in prachtvoller, duftender Weise zur Schau.«
Gebannt sah Lisa zu, wie er mit seinem langen Mittelfinger die Blüte einer Ranunkel penetrierte.
»Auf mich wirken sie durchaus erotisch.« Sie roch seine Haut, als er sich näher zu ihr beugte und ihr ins Ohr flüsterte: »Schau dir die Anordnung der Blätter genauer an. Viele ähneln tatsächlich dem Aussehen einer Vulva. Wenn du das einmal entdeckt hast, wirst du fast keine Blüte mehr anschauen können ohne das weibliche Geschlecht darin zu sehen.«
Je mehr er ihr von diesen Erklärungen ins Ohr flüsterte desto feuchter wurde sie. Und dabei sprach er nur von Blumen, oder?
»Ein außergewöhnlicher Blickfang in deinem Strauß bildet diese exotische Blütenknospe des afrikanischen Tulpenbaums, dem Spathodea.«
Fabian drückte auf die ampullenförmig Knospe. Wasser spritzte ihr auf dem Arm und unwillkürlich dachte sie an lustvolles Squirting. Die transparenten Wassertropfen glitzerten in den feinen Härchen ihres Unterarms.
»Die offenen Blüten sind becherförmig und halten Regen und Tau. Mit ihrer fleischigen Blüte eine wahrlich weibliche Pflanze. Es gibt auch männliche wie diese Traubenhyazinthe, die Muscari comosum.«
Er ergriff ihre Hand und strich mit den violett-blauen Blütenständen, an deren Spitze die Pflanze fedrig-buschige Blüten ausgebildet hatte, bis zu ihrem Ellbogen hinauf, was Lisa unwillkürlich leise seufzen ließ. Es war, als hätte er sie mit einem Zauberstab berührt. Das zarte Streicheln brachte Erinnerungen an erotische Momente mit anderen Männern zurück, die Lisa seit dem Beginn des Schreibens an der Masterarbeit verdrängt hatte.
»Wie ist es? Ist es gut?«, fragte er.
»Ja, es ist gut! «, sagte sie.
Und er sagte: »Wiederhole den Namen, lass ihn aus dir herausströmen.«
»Eine Muscari comosum, eine Muscari comosum, eine M… «
Mitten im M küsste er sie, indem er mit der Zunge behutsam ihre Lippen teilte, genauso wie er es wenige Minuten zuvor bei der flauschigen Mohnblumenknospe getan hatte, um die innen versteckten rosa Blütenblätter freizulegen.
»Magst du mir zeigen, welche Blume in deinem Garten blüht?«
Sie wusste sofort was er meinte, schließlich war die Stimmung bereits eindeutig aufgeladen.
»Oje«, sagte Lisa »seitdem ich mein Thema für die Masterarbeit Wochen lang recherchiert und endlich angefangen habe zu schreiben, ist mein Gärtchen ziemlich vernachlässigt.« Außerdem hatte sie sich schon lange nicht mehr rasiert. Ihr Paradies war regelrecht verbuscht. Sie musste über diese Metapher dann doch lachen. »Ich würde sagen Mohnknospe.«
Auch Fabian grinste, offensichtlich freute er sich, dass sie in seiner Sprache geblieben war. »Ich liebe den Moment, wenn der Mohnblumenkopf sich öffnet.«
Er drehte sie mit dem Rücken zum Tisch. Sie half ihm ihren Slip nach unten zu ziehen. Die Tischkante schnitt ihr in die Pobacken. Das war ihr egal, denn nun griff er sich ein Büschel Blumen vom Tisch, hob damit ihr Kleid und begann sanft ihre Vulva zu schlagen. Ihre Klitoris, die noch tief in Winterruhe verharrt schien, erwachte und reckte sich aus dem schützenden Häubchen hervor. »Da ist sie ja, die Schöne. Es ist so ein wundervoller Moment, wenn die Knospen erwachen.«
Er legte die Blumenpeitsche beiseite und klemmte sich eine einzelne Ranunkel zwischen Zeige- und Mittelfinger. Lisa hatte noch das Bild im Kopf, wie er die Blüte vorher mit dem Finger penetriert hatte und sah fasziniert zu, wie er sie auf ihre Klitoris drückte. Was vorher sein Finger getan hatte, übernahm nun ihr Lustorgan. Es versank in der orangen Farbe. Da schmolz jegliche Zurückhaltung. Mit kreisenden Bewegungen, das Becken vor und zurückschaukelnd, gab sie sich dem Blütenrausch hin. Und als er mit der anderen Hand ihre Schamlippen aufspreizte, wie er es mit der grünen Hülle der Mohnknospe getan hatte und ihr Geschlecht dabei ansprach: »Papaver rhoeas, zeig deine Farbe, bist du zartrosa oder dunkler?« und seinen Kopf zwischen ihre Schenkel beugte, um sie besser betrachten zu können, war es da, das Frühlingserwachen und entlud sich in einem spitzen Schrei. Bevor sie vornüber stürzte, stand Fabian bereits vor ihr, legte den Arm um ihre Taille und fing sie auf. Er steckte ihr den Finger in den Mund und sie leckte daran. »Frühlingssüße.«
Ines Witka ist Autorin mehrerer Romane, Kurzgeschichten, Interviewbüchern und des Inspirations- und Übungsbuches „Dirty Writing vom Schreiben schamloser Texte“. Sie gestaltet Schreibwerkstätten zum kreativen erotischen und biografischen Schreiben. Mehr zu Ines Witka finden Sie hier: https://ineswitka.de/#buecher