Es reicht!

Ein Blick auf das neue Sexualstrafrecht und die #MeToo-Debatte.

Der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Dr. Alexander Stevens plädiert für ein Ende von #MeToo und wirft einen kritischen Blick auf das neue Sexualstrafrecht.

 

Text: Jona Rahel Armborst
Fotos: analogicus/pixabay, by-studio/stock.adobe.com

Gibt man bei Wikipedia das Hashtag „#MeToo“ ein, erhält man neben einer so schwammigen Definition wie „sexueller Übergriff“, auch 60 prominente Namen gegen die ein „#MeToo“-Vorwurf erhoben wurde – im Rest des world wide web sind es unzählige Namen mehr. 

Schon der bloße Vorwurf von „#MeToo“ in der Öffentlichkeit bewirkt sofortige soziale und berufliche Vernichtung! Über Jahrzehnte erarbeitete Karrieren, Familien, ja sogar die berufliche Existenz werden mit einem Hashtag im Bruchteil einer Sekunde zerstört. 

Wo Mörder wie der BVB-Bomber aufgrund eines ausermittelten Strafverfahrens vor Gericht stehen und in den Zeitungen gepixelt, sowie Namen abgekürzt oder verfälscht werden müssen, reicht in Sachen sexueller Belästigung hierzulande ein Anruf bei der Zeitung mit dem Stichwort #MeToo, um das Lebenswerk eines Dieter Wedel zu vernichten (Dass eines der beiden Wedel-Opfer nur Tage später überregionale Presse für sein neu erschienenes Yoga-Buch bekommt, stört übrigens niemanden).

Es scheint völlig egal zu sein, dass bei allen bisher publik gewordenen #MeToo-Tätern bis dato noch nicht einmal strafrechtliche Ermittlungen, geschweige denn ein rechtskräftiges Urteil abgewartet werden. Unschuldsvermutung ist für die #MeToo -Bewegung ein rechtsstaatliches Nullum. Da würde doch mal interessieren, wie die #MeToo -Anschuldigerinnen reagieren würden, wenn all jene erst einmal als Verleumderinnen und Denunziantinnen bei Wikipedia namentlich genannt würden? Wer weiß schon, wer bei einem vermeintlich unerwünschten sexuellen Übergriff nun die Wahrheit sagt? Die #MeToo-Dame oder der #NotMe-Herr? Das Stichwort lautet „Aussage gegen Aussage“.

Aber halt! An dieser Stelle, Opfern sexueller Gewalt pauschal nicht zu glauben, da waren wir schon mal in der deutschen Rechtsgeschichte und dort will man auch nicht wieder hin. Und ja, man hat seitens der Gesetze und Justiz in der Vergangenheit den Opferschutz betreffend viele Fehler gemacht, angefangen damit, dass Vergewaltigung in der Ehe bis vor kurzem gar nicht strafbar war und dass man mutmaßlichen Opfern sexueller Gewalt per se nicht geglaubt hat. 

Nur, das Ganze jetzt zu invertieren und im Zuge von #MeToo einen Generalverdacht auf alle Männer zu lenken und vor allem die Unschuldsvermutung dermaßen auszuhebeln, dass man jeglichen Anschuldigungen völlig undifferenziert Glauben schenkt, ist ebenso falsch, wie es auch schon zu Zeiten der heiligen Inquisition und den dunklen Jahren des Nationalsozialismus war. 

Wir dürfen nicht dahin zurückverfallen, wo wir schon mehrfach waren und die Geschichte uns schmerzlich eines Besseren belehrt hat. Nichtstaatliche, öffentliche Anschuldigungen konterkarieren nicht nur unser Grundgesetz, sondern darüber hinaus über Jahrhunderte entwickelte Grundsätze, nämlich Unschuldsvermutung und faires Verfahren. 

Verurteilte Kindsmörder wie Markus Gäfgen bekommen noch im Gefängnis neue Identitäten, um nicht als Mörder gebrandmarkt zu sein, wegen Kindsmissbrauch verurteilte Häftlinge erhalten falsche Dokumente, die „belegen“ dass sie nur wegen schwerer Körperverletzung einsitzen, um nicht im Knastalltag Ärger zu bekommen und bei den jüngsten Gefängnisausbrüchen in Plötzensee verweigert man (zu recht) die Öffentlichkeitsfahndung unter Verweis auf das Persönlichkeitsrecht, da nicht einzusehen ist, warum ein inhaftierter Ladendieb oder Schwarzfahrer mit Gesicht und Namen in der bundesweiten Presse erschienen soll. 

Und was macht man bei Weinstein, Spacey, Wedel und wie sie alle heißen, deren Schuld noch nicht einmal feststeht? Haben Sie sich schon einmal gefragt, wer eigentlich alles öffentlich #MeToo posten darf?

Antwort: Jeder. Welches männliche Fehlverhalten dazu geführt hat, der ganzen Welt mitzuteilen, dass man (wie auch immer geartete) #MeToo-Erfahrungen gemacht hat, interessiert nicht weiter. Das bloße Hashtag genügt. Nicht einmal des Verweises auf irgendein sexuell unerwünschtes Verhalten bedarf es hierzu. 

Und schlimmer noch: Weil #MeToo laut Wikipedia-Eintrag dann auch noch so unbestimmte Begrifflichkeiten wie „sexueller Übergriff“ oder „sexuelle Belästigung“ bedeutet, ist der anzüglich schreibende Email-Mann plötzlich im selben Topf mit dem vergewaltigenden Weinstein-Spacey-Wedel-Mann. Das, obwohl der Vorwurf noch nicht einmal von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht überprüft, geschweige denn festgestellt ist, ob es sich dabei tatsächlich z.B. um eine Vergewaltigung oder „nur“ eine „Belästigung“ handelt?

Denn was letztlich ein „sexueller Übergriff“ oder eine „sexuelle Belästigung“ ist, ist nicht definiert. Das beginnt schon mit dem Wort „sexuell“, sieht man sich eine jüngere Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus März 2014 an, wonach eine Befragung von 42.000 Frauen in 28 EU-Mitgliedsstaaten im Alter zwischen 18 und 74 Jahren ergab, dass 60 % der befragten Frauen mindestens schon einmal eine Form der „sexuellen Belästigung“ erfahren hätten. Auf nähere Nachfrage, um was für sexuelle Belästigungen es sich dabei gehandelt habe, wurden vor allem 

o  das Erzählen schmutziger Witze

o  das Zeigen oder Verteilen sexuell eindeutiger Zeichnungen oder Bilder

o  Briefe, Notizen, E-Mails, Telefonanrufe oder anderes Material sexueller Natur

o  Menschen nach ihren physischen Eigenschaften zu bewerten

o  sexuelle Kommentare über Kleidung, Anatomie oder Aussehen einer Person

o  Pfeifen oder Nachrufe

o  sexuell suggestive Geräusche oder Gesten wie Saug-Geräusche, Zwinkern oder Beckenbodenstöße

o  direkte oder indirekte Drohungen oder Bestechungsgelder für unerwünschte sexuelle Handlungen

o  wiederholtes Fragen nach Dates oder Sex

o  Beschimpfungen wie Schlampe, Hure oder Flittchen

o  offensives Anstarren (der Brüste einer Frau oder des Gesäßes eines Mannes)

o  unerwünschte Fragen über das eigene Sexualleben

geschildert. Ein wesentlicher Teil der Definition war das Wort „unerwünscht“, das mit dem Wort „sexuell“ und „belästigen“ synonym verwendet wurde. 

Und damit wären wir auch schon bei unserem „tollen“ neuen Sexualstrafrecht: Der Gesetzgeber hat nämlich mit dem neuen Sexualstrafrecht den Weg für #MeToo geebnet. Längst sind nämlich nicht mehr nur gravierende Vorwürfe wie sexueller Missbrauch und Vergewaltigung strafbar. 

Seitdem der Gesetzgeber mit der Sexualstrafrechtsreform den Straftatbestand der sexuellen Belästigung eingeführt hat, wonach mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft werden kann, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, ist quasi jede körperliche Berührung strafbar. KEIN WITZ!

Ähnlich „#MeToo“, dessen Bedeutung höchst schwammig, eigentlich völlig nichtssagend ist, hat auch der Gesetzgeber bei der „sexuellen Belästigung“ nichtssagende Begriffe verwendet oder wissen Sie, wann eine Körperberührung „sexuell bestimmt“ ist? – Der Gesetzgeber meint, wenn sie sexuell motiviert ist! 

Es kommt also allein auf die Gedanken des Täters an. Sobald diese für ihn ein sexuelles Gepräge aufweisen, also z.B. der Täter bei der Berührung ein sexuelles Interesse an einer anderen Person zum Ausdruck bringt oder werbend einwirken will, ist er dran. Somit sind jetzt Streicheln von Körperteilen wie Hand, Arm, Bein oder Knie strafbar. Die berühmte Umarmung beim Kino-Date oder der erste Kuss sowieso. Und in “besonders schweren Fällen” des unerheblichen (!) Berührens drohen Freiheitsstrafen bis zu fünf (!) Jahren. (Das ist übrigens die Höchststrafe, die noch bis vor ein paar Jahren für „Totschlag im minder schweren Fall“ angedroht war).

Soweit wir also bei den Auswirkungen des neuen Sexualstrafrechts bleiben wollen, ist jetzt auch das Berühren der Schnürsenkel seines Gegenübers mit bis zu 2 Jahren Gefängnis als sexuelle Belästigung zu ahnden, wenn ein solches Schnürsenkelberühren den Täter sexuell motiviert und sich das „Opfer“ dadurch belästigt fühlt. (Auch kein Witz!)

Und der recht unbestimmte Begriff „Belästigen“? Nun ja, der reicht sehr weit, wie wir ja schon aus der o.g. Studie erfahren durften.

Unter Zugrundelegung der Definition von #MeToo als „sexuelle Belästigung“ / „sexueller Übergriff“ kann sich also mittlerweile jeder (und jede) hierauf berufen. Und wer dabei auch noch körperlich berührt wurde (wo, ist ziemlich egal, solange man dem Täter unterstellt, es sei sexuell motiviert), ist zugleich noch Opfer im strafrechtlichen Sinne. 

Inwieweit #MeToo-Opfer damit Geschädigte echter Vergewaltigungen womöglich beleidigen (so zumindest die Auffassung von Schauspielerin Sophia Thomalla) mag jeder für sich entscheiden. Man kann es aber auch so wie Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen handhaben, die bei einer Diskussionsrunde um #MeToo sagte, dass es irgendwann einen Punkt gibt, wo man Komplimente nur noch für Leistung bekommt – was auch nicht so witzig sei.

 
 

In Séparée No.16 lassen wir die Autorin Ute Cohen mit einer Replik auf diesen Text zu Wort kommen. Einen dritten Standpunkt zum Thema äußert eine Séparée Leserin in einer Zuschrift.

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