Die Vulvina-Ära

Ein Interview mit Sexual- und Paartherapeutin Ann-Marlene Henning.

Im Interview haben wir mit Sexual- und Paartherapeutin Ann-Marlene Henning über den Master-Studiengang Sexologie gesprochen, der, deutschlandweit einmalig, an der Hochschule Merseburg angeboten wird.

 

Interview: Cäcilia Fischer
Foto: Gunnar Meyer, www.fotograf-kaltenkirchen.de

Sépareé: Sie studieren im vorletzten Jahr Sexologie, obwohl Sie längst eine erfolgreiche Sexual- und Paartherapeutin, Autorin sowie Moderatorin sind. Warum?

Zum Einen, weil ich von den Professoren in Merseburg gefragt wurde, ob ich als Assistentin vor Ort die Studienleitung unterstützen kann. Seit der Einführung des Studienfaches 2016 mache ich das. Zum Anderen möchte aber selbst den Master in Sexologie besitzen, einen wichtigen und in Deutschland anerkannten Abschluss. Es ist ja kein Anfänger-, sondern ein berufsbegleitendes Masterstudium für den Bereich Beratung. In der Schweiz ist es längst populär, in Deutschland noch nicht.

Den Begriff des “Sexo-Corporel-Konzepts“ kennen hier sicher die Wenigsten.

Eben. Aber das soll sich ändern. Dieses Konzept ist ein kanadisch-französisches Therapiemodell nach Jean-Yves Desjardins und sehr körperorientiert. Sex und Körper gehören nun mal zusammen. Spannung im Körper oder Atmung sind dabei wichtige Themen. Hohe Spannung beim Sex ist kaum vorteilhaft. Beim Mann ist es einfacher zu verstehen, denn sein Glied sollte für den Geschlechtsverkehr gut durchblutet sein. Bei hoher Spannung wird es hier eng. Bei der Frau genauso. Erregung funktioniert bei hoher Muskelspannung eben nur eingeschränkt, denn sie kann sich nicht gut im Körper verteilen. Und blöderweise ist es ja so, wenn etwas beim Sex nicht klappt, versuchen wir es meist umso mehr, und verspannen uns wieder – es geht bergab. Bei Stress ist kein Sex oder Genuss vorgesehen.

Was genau lernen Sie dazu konkret an der Hochschule Merseburg?

Der Studiengang besteht aus vielen wichtigen theoretischen Inhalten, zum Beispiel zu Geschichtlichem und Wissenschaftlichem in Bezug auf Sexualität, aber kombiniert mit Übungen zur körperlichen Wahrnehmung und Therapie. Es wird viel praktiziert, also generell bezogen auf den Körper und seine Wahrnehmung bewegt, probiert, geübt und gespürt. Eine kleine Übung könnte zum Beispiel sein, nachzuspüren, was es mit dem Becken und dem Geschlecht macht, wenn man mit stramm hochgezogenen Schultern rumläuft. Es macht sogar etwas mit der Laune. Und im Bett macht es etwas mit dem sexuellen Empfinden. Wichtig in unserem Studiengang ist übrigens: Alle bleiben angezogen. Es geht hier niemals darum, Sex zu haben!

Wie viele Männer sind denn überhaupt unter den Studenten?

Im ersten Studiengang der Hochschule Merseburg waren noch keine dabei, aber inzwischen haben sich für den zweiten ab April 2018 einige angemeldet, was sehr erfreulich ist. Grundsätzlich ist der Master altersunabhängig. Er ist auch berufsbegleitend, was heißt, dass die Studenten schon einen Beruf im entsprechenden Bereich ausüben sollten. Die Teilnehmer sind also meist Psychologen oder Sozial- oder Sexualpädagogen, und es braucht für die Bewerbung einen Bachelor aus dem humanistischen Bereich.

Über Sex wird heutzutage mehr denn je gesprochen. Gibt es mehr Probleme in diesem Bereich oder täuscht der Eindruck?

Die Probleme gab es auch vorher schon, aber es wurde weniger darüber gesprochen. Früher hieß es bei vielen sexuellen Problemen, da könne oder müsse man eh nichts machen. Heute sieht es anders aus, denn wir können mehr tun. Es ist doch zum Beispiel so, dass es aktuell so viele Prostata-Patienten gibt wie nie zuvor. Das ist wie eine Volkskrankheit. Wir werden generell älter und überleben Krankheiten, an denen wir früher gestorben wären. Für Prostatapatienten gibt es aber so gut wie keine Nachsorge, wenn alles Medizinische erledigt ist. Ähnlich ist es mit der Inkontinenz. Während oder nach der Menophase bekommen viele Frauen dieses Problem durch die Kombination normaler Alterserscheinungen mit einem schwachen Beckenboden. Das Problem ist hier die Art und Weise, wie damit umgegangen wird. Viele Menschen thematisieren ihre sexuellen Probleme nicht, und wenn sie dann doch mal zum Arzt gehen, empfiehlt der oft das Falsche. Nicht auf Sex spezialisierte Physiotherapeuten sind da keine große Hilfe. Tatsache ist leider, dass Gynäkologen, Psychologen, Urologen oder Physiologen im Studium so gut wie nichts Weiterführendes über Sex lernen. Insofern verwundert es nicht, dass es da Handlungsbedarf gibt. Aufklärung nach der Aufklärung quasi.

Sie klären mit Ihrem nächsten Buch, das im Herbst erscheinen wird, gezielt Männer auf. Auch da scheint es einen wachsenden Bedarf zu geben.

Ja, das stimmt. In meinem neuen Buch geht es darum, was Sex und Liebe für Männer bedeuten, aber auch wie ihr Körper sexuell gesehen funktioniert. Der Mann spricht in der Regel nicht über seine sexuellen Probleme, redet nicht einmal mit seinen besten Kumpels darüber. Wenn es nicht läuft, fühlt er sich als Versager, so einfach ist das.

 
 

Das vollständige Interview ist in Séparée No.16 zu lesen.

 

Studiengang Sexologie an der Hochschule Merseburg

Der Weiterbildungsmaster „Sexologie – Sexuelle Gesundheit und Sexualberatung“ (M.A.) ist berufsbegleitend und primär für Fachkräfte aus dem sozialen, psychotherapeutischen, medizinischen und pädagogischen Bereich mit einem ersten abgeschlossenen Hochschulstudium. Er wird in Kooperation zwischen der Hochschule Merseburg und dem Schweizer Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapie ISP angeboten. Die Gebühren für das Studium betragen insgesamt 19.500 Euro. Durchführungsorte sind Berlin und Merseburg. Der nächste (und inzwischen zweite) Studiengang startet im April 2018, Anmeldeschluss:15. März.

Informationen gibt es über Prof. Dr. Harald Stumpe: harald.stumpe@hs-merseburg.de

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