Unzensiert

Wir zeigen Fotos aus dem Bildband "Uncensored", der hinter den Kulissen von Schwulenpornodrehs entstanden ist.

Bild: Kenneth Gruenholtz

Wir haben mit dem amerikanischen Fotografen Kenneth Gruenholtz über den schmalen Grad zwischen Kunst und Pornografie, die Vorliebe mancher Frauen für Schwulenpornos und die Attribute männlicher Erotik gesprochen.

In Ihrem Bildband „Uncensored“ haben Sie hinter die Kulissen der Pornofilmindustrie geschaut. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?

Im August 2017 kontaktierte mich Michael Lucas, der legendäre Pornodarsteller (und Chef von Lucas Entertainment) auf Instagram und fragte mich, ob ich ihn auf Fire Island fotografieren würde. Das Shooting verlief gut. Die Bilder wurden an verschiedenen Stellen veröffentlicht. Doch als Michael mich fragte, ob ich Interesse hätte, Werbefotos für Lucas Entertainment zu machen, habe ich abgelehnt. Alternativ schlug ich vor, eine Schwarz-Weiß-

Strecke zu machen, die Momente hinter den Kulissen der Lucas-Shootings dokumentiert. Ich wollte Bilder machen, die man so noch nicht gesehen hatte: was die Models vor und nach den Drehs, in den Pausen und bei Werbeaufnahmen der Lucas- Fotografen machten.

Mich hat schon immer fasziniert, verborgene Momente zu fotografieren. Als Lucas mich kontaktierte, arbeitete ich gerade an einem Projekt mit dem Titel „Morning Rituals“. Ich fotografierte junge Männer bei ihrer Morgenroutine zu Hause: Stretching, Sport, was man morgens so im Bad macht, anziehen. Die Strecke, an der ich noch weiter arbeite, fand großen Anklang. Ich glaube, das liegt daran, dass man solche Bilder bisher nicht gesehen hat. Die meisten Fotografen besuchen ihre Models nicht zu Hause, um solche Augenblicke einzufangen. Aber die Leute wollen gern sehen, wie schöne Menschen aussehen und was sie machen, bevor sie ihr öffentliches Gesicht aufsetzen.

Mein Interesse an der Pornoindustrie ist eher als eine Erweiterung meiner Arbeit an der Morning-Ritual-Strecke zu verstehen, das heißt, das Bemühen ungeschminkte Momente festzuhalten, statt per se in die schwule Pornofilmwelt einzutauchen.

Wie unterscheidet sich letztere von Mainstream-Pornografie?

Ich habe bisher nicht im Bereich Mainstream-Pornografie gearbeitet und bin mir deshalb nicht sicher, welche Unterschiede bestehen, aber was mich überrascht hat, war, wie intim und sexy es unter den jungen Männern zuging, wenn die Kameras nicht liefen. Ich war davon ausgegangen, dass sexuell nichts mehr laufen würde, wenn nicht gedreht wird, aber da lang ich definitiv falsch. Ich könnte mir vorstellen, dass im Mainstream hinter den Kulissen sexuell weniger los ist.

Nach Statistiken der Plattform Pornhub schauen vier von zehn Frauen, die sich Pornos anschauen, gern Schwulenpornos. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass sich Frauen gern Schwulenporno ansehen, als ich den Film „The Kids Are Alright“ sah. Darin gibt es eine Szene, in der zwei Lesben Sex haben, während ein Schwulenporno läuft. Das war ein Augenöffner für mich. Ich habe daraufhin etwas recherchiert und Folgendes herausgefunden: Frauen (ob lesbisch oder hetero) turnt die visuelle Darstellung von Erregung an, wenn sie sehen, wie ein Mann eine Erektion bekommt, während sie es als weniger erregend empfinden, anderen Frauen beim Sex zuzuschauen. Meine Social-Media-Managerin in Frankreich ist heterosexuell, verheiratet und hat ein kleines Kind. Sie liebt Schwulenpornos. Als ich sie fragte warum, sagte sie: „Das liegt an all dem Testosteron. Mehr Erektionen und mehr Muskeln. Die Männer in Schwulenpornos scheinen den Sex mehr zu genießen als die Frauen im Heteroporno. Wenn ich in einem Heteroporno einen Gang Bang sehe, sieht das schmerzhaft und erniedrigend aus. Aber in Schwulenpornos springt der Funke der Erregung über.“ Seit sie vor einigen Jahren Schwulenpornos entdeckt hat, schaut sie keine Heteropornos mehr.

In Heteropornos liegt der Fokus normalerweise auf der Frau. Anders im Schwulenporno, wo der Mann im Mittelpunkt steht. Heterofrauen, die Männer sehen wollen, finden genau das in Schwulenpornos.

Vor einigen Jahren ist ein neues Porno-Genres entstanden, bei dem die Kamera beim Heterosex auf den Mann gerichtet ist. Die Firma, die die Videos produzierte, nannte die Serie „Hot Men fuck“. Keine Frage, das war echt sexy.

Ich denke, es ist kein Geheimnis, dass Heteromänner gern zwei Frauen beim Sex zusehen. Deshalb sollte es nicht überraschen, dass für Frauen das Gegenteil zutrifft.

Wann wird Pornografie Kunst und umgekehrt?

Ich definiere Pornografie so: wenn die einzige Daseinsberechtigung eines Bildes darin besteht, durch die Darstellung von Erektionen und Penetration sexuelle Stimulation und Erregung hervorzurufen.

Wenn der Künstler andere oder darüberhinausgehende Absichten hegt, kann ein solches Bild Kunst werden. Beim Lucas-Projekt ging es mir in erster Linie darum, Bilder zu schaffen, die zeigen, was die Models machen, wenn die Videokameras nicht laufen. Es war nicht meine Intension, Sex zu zeigen. Vielmehr wollte ich zeigen, was hinter den Kulissen geschieht und nicht sexuelle Erregung erzeugen.

Meine Arbeit im Rahmen von „Unsensored“ bezeichne ich als künstlerischen Fotojournalismus. Fotojournalismus deshalb, weil ich keine Szenen inszeniere oder den Models sage, was sie tun sollen. Ich dokumentiere lediglich, was passiert. Das künstlerische Element kommt ins Spiel, wenn ich das Bild in Photoshop bearbeite, um Licht, Kontrast, Sättigung und Bildaufbau anzupassen.

Das vollständige Interview und weitere Fotos finden Sie in Séparée No.27.
 

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