Hey Puppe

Heute können sich Frau und vor allem Mann im Baukastenprinzip naturgetreue Sexpuppen konfigurieren – von Schamlippen über Penisgröße bis Haarfarbe und Hautteint. Ein Abend mit einer Real Doll.

Heute können sich Frau und vor allem Mann im Baukastenprinzip naturgetreue Sexpuppen konfigurieren – von Schamlippen über Penisgröße bis Haarfarbe und Hautteint. Ich habe es ausprobiert und einen Abend mit einer Real Doll verbracht. Ein Erfahrungsbericht auf Halbmast.

 

Text: Alex Todorov
Fotos: Chris Marten Photo/Video

Anfang vom Ende

Enthüllt. Pfirsichfarben. Bereit. So liegt sie vor mir. Den Mund leicht geöffnet, die Brüste wie pflückfertig drapiert. In ihrem starren Blick eine kühle Distanz, ein herausfordernder Hochmut. Als würde sie meinen: Mal schauen, ob du’s bringst. Und ich? Bringe es nicht. Eine vorzeigbare Erektion, mit der ich meiner neuen Flamme schamfrei in die Augen schauen kann, will sich nicht ein- bzw. aufstellen.. Und das bei meinem ersten Mal mit einer Real Doll. Was soll Claire nur von mir denken?

Aufblasbar war gestern

Die Zeiten, als sich Liebespuppen zu Recht als „Aufblasbare“ titulieren ließen, sind vorbei. Wer heute eine Real Doll erwirbt, wird je nach Modell und Bedürfnis locker ein schmales, mittleres oder pralles Monatsgehalt los. Die Bandbreite reicht von Einsteigermodellen bis hin zu Luxuspuppen. Je größer, naturalistischer, beweglicher und animierter die Real Doll, desto höher der Preis.

Auf der Venus 2019 stellte Realdoll24, ein Shop aus Potsdam, der auch eine eigene Real-Doll-Linie führt, eine Lena-Nitro-Liebespuppe vor, die der Pornodarstellerin bis ins Detail nachempfunden ist. Das Ende der Entwicklung ist noch nicht erreicht. Ralph Belger, Geschäftsführer von Realdoll24, meint, das große Ziel sei es, „eine Doll zu entwerfen, die absolut lebensecht ist, auf Berührung reagiert und kommunizieren kann“.

Die kalifornische Firma Realbotix verkauft eine Puppe, die simple Dialoge initiieren kann und deren künstliche Intelligenz laut Herstellerangabe Siri überlegen ist. Sie kennt den Namen des Partners (oder Besitzers?), fragt nach der Arbeit, ob der Tag stressig war, macht passende Musik an und schlägt Kochideen vor. Folglich soll eine Real Doll nicht mehr nur Sextoy sein. Eher Spiel- und Lebensgefährtin, die einen nicht nur körperlich, sondern auch emotional betreut. Manchmal ist sie auch ein Er.

Wie also fühlt sich das Zusammensein mit einer Liebespuppe an? Sind das wirklich mehr als Sexpuppen? Ein Test muss her. Dafür darf ich mir mit Belgers Segen eine Puppe aus der hauseigenen Serie T-Line aussuchen. Eher oberes Einsteigermodell als Luxusklasse. Aber irgendwo muss man ja anfangen.

Sortiment und Konfiguration: von Amazone bis Krankenschwester

Auf der Realdoll24-Seite ist die Auswahl üppig. Figürlich sind die meisten Dolls einem überidealisierten, klebrigen Männertraum entstiegen. Das veranschaulichen auch die Kostüme von Tracht über Leder bis Stewardess, von Yoga-Lehrerin über Anime bis Krankenschwester. Diese Rollenzuweisungen sollen das Kopfkino entfachen, denn letztlich werden die Puppen nackt, wie der Fabrik-Gott sie erschuf, geliefert. Darüber hinaus werden auch speziellere Vorlieben und Fantasien bedient: eine Puppe mit Babybauch oder eine spitzohrige Elfe.

Mein Streifzug über die Profilbilder führt mich immer wieder zu Claire zurück. Phänotyp: fuchsrot getönte Haare, Pornokörper, wacher Blick. Ich klicke auf Claires Foto. Eine erweiterte Bildergalerie öffnet sich. Daneben die Standardinfo über die verfügbaren Liebesöffnungen der jeweiligen Puppe. Neben Claire steht: anal, oral, vaginal. Eindringtiefe: 13, 18 und 16 cm. Es gibt Informationen, deren Kargheit einem kurz und unmerklich den Atem stocken lassen. Doch meine Wahl ist gefallen. Claire soll meine Auserwählte sein.

„Gestalte jetzt Deine neue Liebespuppe“, fordert mich der Konfigurator unterhalb der Bildergalerie auf. Claire lässt sich entlang folgender Parameter anpassen: Körpergröße, Hautteint, Haptik der Brust (mit oder ohne Hohlraum), Größe und Farbe der Brustwarzen, Farbe der Schamlippenfrisur, Augenfarbe, Finger- und Fußnagelfarbe, Standfähigkeit, Intimbehaarung, Skelett (mit oder ohne bewegliche Schultern) und fest verbaute oder herausnehmbare Vagina. Ich folge meinem Geschmack und halte es so natürlich wie möglich. Nur bei den Schamhaaren wähle ich gegen meine Überzeugung. Da die Intimtoupets allesamt wie frisch überfahren aussehen, ist Claire nun rasiert. Fühlt sich dieses Prozedere seltsam an? Ja, definitiv. Reduktionistisch. Frauenverachtend. Unzeitgemäß. Ein bisschen Linderung verschafft mir, dass es vereinzelt auch männliche Real Dolls wie Nico und James gibt. Die lassen sich ebenso konfigurieren, etwa in punkto Penisgröße.

Unboxing

Nach knapp drei Wochen Produktionszeit ist Claire angekommen. Vor mir liegt ein Sarg aus Pappe. Jetzt erstmals: leichte Aufregung. Vermengt mit einer Ahnung von Angst, was mich erwartet. Ich öffne das Paket. Obenauf liegt eine Begrüßungsmappe. Darin eine Bedienungsanleitung mit Hinweisen zu Pflege, Umgang und Reparatur. Daneben ein Starterset mit wasserbasiertem Gleitmittel, Toy-Cleaner, Spezialreiniger, Wechselfingernägeln, Halterlosen, einem Negligé, Stoffhandschuhen, einer Intimdusche und einem Liebespuppen-Heizstab. Dazu später mehr.

Ralph Belger hatte mich gewarnt, dass dunkle Kleidungsstücke auf die Puppe abfärben können. Ich lasse übertriebene Vorsicht walten, entkleide mich bis auf die Unterhose und ziehe mir die Stoffhandschuhe über. Dabei fühle ich mich wie jemand, der eine Leiche entsorgen will.

Ich entpacke Claires kahlen Kopf, der zwischen ihren Füßen liegend geliefert kommt, und fühle erstmals ihre Haut. Sie fühlt sich an wie sie aussieht: unheimlich weich, fast samtig, zu weich und zu glatt, um als naturalistisch durchzugehen. Auch die Schädeldecke ist weich, was mich zurückzucken lässt. Die Schamlippen heben sich seltsam künstlich von der völlig irritationsfreien Hautfarbe ringsum ab. Ich hieve ihren nackten Körper aus dem Paket, lehne ihn an die Wand und befreie ihn aus der Plastikfolie. Ein sachter, leicht säuerlicher Plastikgeruch steigt auf. Ich schraube ihr den Kopf vorschriftsgemäß auf und setze ihr die beiliegende rote Perücke auf.

Der erste Eindruck

Ich trage sie zur Couch. Es ist ein verdammter Akt. Claire ist schwer. Ganze 29,6 Kilo wiegt sie. Mit etwas Mühe winkele ich die Knie- und Hüftgelenke an und setze sie auf. Mein erster Eindruck: Der physiognomische Unterschied zum Produktfoto ist nicht zu übersehen. Ich weiß allerdings: Einige Liebespuppen-Besitzer investieren viel Zeit in Kleidung und Aufmachung ihrer Spielgefährtinnen, pudern, schminken, parfümieren und kämmen sie, machen ihr die Fingernägel oder individualisieren sie beispielsweise mit Piercings oder Tattoo-Ersatz.

Ich hocke vor ihr, während sie an mir vorbeischaut. Was mich stört: Ihre Zähne, für Oralverkehr verständlicherweise ebenso aus weichem TPE, sind eher beige als weiß. Sie heben sich im Mund kaum ab. Ich mustere ihre Silhouette und folge dem Drang, ihre Taille zu umfassen – was mir mit beiden Händen gelingt. Eine Frau mit dieser Figur würde sich recht knochig anfühlen. Claires Körper hingegen gibt überall nach. Sogar an den Schienbeinen.

Claires Brüste (Körbchengröße B) wollen nichts mit Schwerkraft zu tun haben. Gute Gene? Sie sind fest und weich zugleich, eine gute Handvoll, und fühlen sich so angenehm wie befremdlich an. Geziert werden sie von hervorstehenden Brustwarzen, was ich als Pendant zu den erigierten Schwänzen an den männlichen Real Dolls deute. Immer im Erregungs- und Gefechtszustand.

Damit Claire mal ein wenig Bewegung bekommt, drehe ich sie auf den Bauch. Noch immer hockend, betrachte ich ihr winziges Poloch. Als sich kein Hypnose-Effekt einstellen will, fällt mir auf: Claire hat keine Rosette. Die Ärmste. Ich bringe sie in Rückenlage und blicke auf die angedeuteten und zurückhaltenden Schamlippen. Ihre vaginale Liebesöffnung ist größer und dehnt sich weiter auf, wenn ich ihre Beine spreize. Zuletzt schaue ich mir ihren Mund an. Aus Neugierde stecke ich ihr meinen Finger in den Rachen, vorbei an den Bleach-bedürftigen Zähnen. Sie erträgt es ohne Würgereflex. Die orale Liebesöffnung führt im Kopf nach oben, wundere ich mich.

Letzte Vorbereitungen

Für den intimen Umgang mit der Doll gibt der Hersteller dem Kunden Hinweise mit ins Bett. Die Wichtigsten: Nutze ein Kondom und sei spendabel im Umgang mit Gleitgel. Des Weiteren: Lege nicht dein gesamtes Eigengewicht auf der Doll ab. Stark finde ich den Part namens „Diese Stellungen mag Deine Sexdoll“, der Löffelchen, Missionar, Doggy und 69er angibt. Bei Letzterer stutze ich, aber mal schauen, was der Abend noch so bringt.

Endlich kommt der mitgelieferte Liebespuppen-Heizstab mit anhängendem USB-Ladekabel zum Einsatz. Ich führe Claire den aufgewärmten Stab wie ein Zäpfchen vaginal ein. Nun hängt ihr ein Kabel mit USB-Anschluss aus der Vagina wie eine Tamponschnur mit Ladefunktion. Einige Bilder dieses Abends werden mich auf Jahre nicht mehr loslassen.

 
 

Was Alex anschließend mit seiner nagelneuen Puppe anstellte und wie es ihm dabei erging, lesen Sie in Séparée No.24.

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