Du riechst so gut!

Schnupperkurs im Orgasmocosmicum

                            

                              „Ich seh Dich nicht

                   Ich riech Dich nur Ich spüre Dich

                Ein Raubtier das vor Hunger schreit

                       Witter Ich Dich meilenweit“

Rammstein sei Dank! Wie gut, dass es wenigstens ein paar unverbrüchliche Verweigerer der neuen Prüderie gibt! Dass Trieb und Geruch, Sex und Duft zusammengehören, schreit Till Lindemann in die Welt hinaus und doch scheint sein Ruf ungehört zu verhallen. Auch wenn uns Sex permanent umwabert, verkümmern unsere Sinne, allen voran der Geruchssinn. Sex wird oftmals auf eine rein physische Aktivität reduziert oder zu einem tantrisch-esoterischen Kommunikationsmittel erhöht. Die animalisch-sinnliche Seite und alles, was über den Tast-und Sehsinn hinausgeht, kommen viel zu kurz. Eine Ära des Verzichts scheint eingeläutet zu sein. Verzicht auf Fleisch, Verzicht auf Nikotin, Verzicht auf Zucker … Clean, clean, clean! lautet die Parole.

 

Text: Theresa S. Grunwald
Foto: Tan Kadam

Detox, adieu!

Aber ich schwöre: Wenn „Detox“ Wort des Jahres wird, lege ich mich eine Woche lang ins Bett, bestell mir Austern, einen Lover, Pornos, besprüh mich mit L´Heure bleue und vögle mich in einen Dauersinnesrausch. Disziplin, Askese, Vorsätze … ich hab die Nase voll von stoischen Saubermännern, denen das Wort „Selbstkasteiung“ auf die Stirn geschrieben steht. Tief durchatmen, bitte! Und jetzt ganz schnell frischen Wind durch das Hirn pusten lassen, damit auch die hinterletzte Negativkoppelung aufgerissen wird! Nicht in allmählichen Verhaltensänderungen und winzigen Trippelschrittchen sollten wir uns eingeschliffener Muster entledigen, sondern mit Siebenmeilenstiefeln und radikalen Manifesten! Time for Change! „Ich hab’ keine Lust, meine Pflicht zu erfüllen, für dich nicht, für mich nicht, ich hab’ keine Pflicht …“ Na gut, die Zeiten des pubertären Verweigerungswahns sind wohl vorbei. Ninas Aufschrei sollten wir aber dennoch beherzigen und endlich das heiß ersehnte hedonistische Zeitalter ausrufen! „Pleasure!“ With a capital P, please! Selbstentsagung adieu. Welcome to the Pleasure Dome!

Und was bitte, meine Damen, bereitet uns das größte Vergnügen, abgesehen von einem Dutzend Austern und Laurent Perrier rosé? Mmmh, yeah, uh, ah! Yes! S.E.X. In der richtigen Potenz, der perfekten Mischung und berauschendem Ambiente natürlich!

Welcome to the Pleasure Dome!

Es soll ja angeblich immer noch Männer geben, denen unser Vergnügen egal ist, die so selbstbezogenen Sex haben wie ein Nagetierchen im Hamsterrad. Dieser in meinem Leben gottlob ausgestorbenen Spezies sei an dieser Stelle gesagt: Mit ein bisschen Vergnügen lassen sich auch die schreckhaftesten Mädels rügen! Okay, den Reim hab ich jetzt mal schnell zurechtgezimmert, an des Pudels Kern ändert sich deshalb noch lange nichts! Ja, ganz recht! Pain without pleasure ist für mich undenkbar! Wer mit dem Flogger lockt, muss auch Vergnügen spenden! Und worin besteht wohl der Hochgenuss par excellence, das Krönungsdessert aller haptischen Leckerschmecker? Bingo! Genau in diesem einen Augenblick, in dem unser orbifrontaler Kortex ein Blackout hat, in dem wir uns nicht mehr unter Kontrolle haben, von den Griechen deliziös Orgasmus genannt!

Alles strebt zum O

Auch wenn uns Myriaden von Frauenzeitschriften immer wieder einzutrichtern versuchen, dass Sex auch ohne gut sein kann und ohnehin ein Drittel aller Frauen selten oder nie den Höhepunkt erreicht, so ist es doch – Aristoteles möge mir verzeihen! – der O, wonach alles strebt! Schließlich ist er das einzig real existierende Wundermittel gegen Migräne, Erkältungen und Über-Ich. Nur im erregten Zustand, im Gipfelsturm sind das Schmerzempfinden und die Schmerzerkennung deutlich verringert und zugleich unser verdammt konservatives Großhirn und sein erhobener Zeigefinger kurzzeitig ausgeschaltet. Endlich sind wir frei von Normen, Maßregelungen und bereit für Reize, die uns im belanglosen Normalzustand den Schrecken in die Knochen fahren lassen. Endlich kommen unser limbisches System und sein unterjochter Hypothalamus auf seine Kosten! Ein Biss, ein Hieb, wölfisches Heulen, ein Glasdildo und die Story von der Klosterschülerin – wir weben unser eigenes Reiz-Reaktions-Schema, wenn wir vor Lust und Begierde strotzen!

Oh, ouiiii!

Endlich sind wir vollkommen losgelöst! Wenn uns das Blut in den Uterus strömt und sämtliche Nervenenden und Muskeln energiedurchflutet sind, befinden wir uns im Ausnahmezustand!

Alles ist möglich! Und man sage mir nicht, dass visuelle Stimuli an der weiblichen Libido abprallen wie Regentropfen an einer Barbour-Jacke! Meine kleine, aber feine Porn-Selection kickt meine Klitoris mindestens so sehr wie die gesammelten Werke des Marquis. Meine Pupillen weiten sich und saugen Bilderfetzen auf, die sich in den Meningen in funkelnde, durch meine Nervenbahnen zischende Kristalle verwandeln. Mein Atem beschleunigt sich, während sich die glitzernden Splitter auf einen blauen Schlund zu bewegen, der sich verengt, bis mein Uterus rhythmisch kontrahierend die letzten Überbleibsel meiner Ratio sprengt.

Die Geschichte des O

Doch wie lange dauert eigentlich dieser Rausch? Dass die Lebensdauer nichts über die Qualität aussagt, wissen wir von der Eintagsfliege und dem Club 27. Nachdem der weibliche Orgasmus lange Zeit geleugnet wurde, da er keinerlei biologische Funktion besitzt, kommen wir nun endlich in den epochalen Genuss, Vielfalt, Dauer und Intensität unserer Orgasmen ausloten und auskosten zu können.

Ganze vier Phasen durchläuft unser Erregungszyklus: Erregung, Plateau, Orgasmus und Entspannung. Wenn sich das Blut in den Genitalien sammelt und die Brüste anschwellen lässt, erhöht sich die Körpertemperatur, rötet sich die Haut. Wir werden klatschnass zwischen den Beinen, das Vaginalsekret durchnässt unsere Höschen, was bei leichten Sommerröckchen durchaus nicht unbemerkt bleiben kann. Deshalb verzichte ich meist ganz darauf, sobald die Temperaturen über die eisblaue Skala klettern. Dem folgt die neuromuskuläre Anspannung, die zum Aufbau von Energie in den Muskeln und Nervenenden führt. Schließlich der Orgasmus. Das Verblüffende ist, dass sich sowohl beim Mann als auch bei der Frau die Muskelkontraktionen im Abstand von 0,8 Sekunden vollziehen. Das weibliche Geschlecht ist dabei aber klar bevorzugt, da unsere Orgasmen länger währen und wiederholungsfähig sind. Multiple Orgasmen und Orgasmuskontrolle sind nämlich keine Mär. Allerdings ist auch noch keine Meisterin vom Himmel gefallen.

Wer sich erst einmal in die Finessen des K-V-A-Orgasmus (klitoral-vaginal-anal) vertieft hat, der gewinnt sogar die Kontrolle über den Kontrollverlust und das ist kein Widerspruch. Auch wir Frauen sollten uns auf dieses Terrain wagen, das bisher nur von wenigen, besonders genussfreudigen und altruistischen, auf das Vergnügen der Frau bedachten Exemplaren beherrscht wird. Orgasmus ohne Ejakulation ermöglicht ein langsames Auskosten mit Wiederholbarkeit. Pleasure-Garantie! Das gelingt uns ebenfalls, wenn wir ihn ganz langsam kommen lassen! Klitoral, vaginal und jetzt noch anal … Dabei dürfen wir auch noch ejakulieren. Da, wo der G-Punkt liegt, befinden sich nämlich auch die Skene-Drüsen, die bei richtigem Druck und angenehmer Stimulation Flüssigkeit absondern. Squirting kann ein wahrhafter Genuss sein, weshalb sich unsere besonders genussfreudigen Nachbarn, die Franzosen, einen Namen für die sprudelnden Damen ausgedacht haben, die „femmes fontaines“, Springbrunnenfrauen. Es gibt also viele Mittel und Wege, unser Vergnügen zu erhöhen, zu vervielfältigen und zu verlängern!

 
 

Weiter ins Orgasmicosmicum, mit weiteren berauschenden Fotos von Tan Kadam, geht es in Séparée No.9.

 

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