Und wie fühlt sich Ihr Orgasmus an? Die Installation DO IT YOURSELF der jungen Künstlerin Merle Eckert visualisiert die vier Phasen eines Orgasmus und lädt ein, sich mit dem eigenen Höhepunkt zu beschäftigen. Trauen Sie sich! Machen Sie’s sich!
Text: Janina Gatzky
Fotos: Merle Eckert, mit Filmmaterial von Erika Lust
Wenn es um Orgasmen – ob selbst- oder partnergemacht – geht, ist mein Körper eine Art Gemischtwarenladen, in dem er sich nach Lust und Laune bedient. Großen Einfluss auf die Wahl habe ich nicht. Da gibt es den kleinen vaginalen Schluckauf und die langen Kontraktionen. Es gibt die Quickies und solche, die über Minuten verebben. Es gibt Orgasmen, die bleiben im Wurzelchakra und solche, die mir bis in die Kehle aufsteigen. Einige beginnen in den Zehen und kribbeln sich Richtung Mitte, andere strahlen von dort in den Körper. Manchmal fühle ich eisige Kälte, manchmal wohlige Wärme. Einige sind harte Arbeit, andere ein Spaziergang im Park. Es gibt solche, die mich hinterher energiegeladen aufspringen lassen und andere, die mir den Weg in den Schlaf bahnen. Und manchmal ergießen sie sich in einem Schwall der Erlösung über die Laken. Gemeinsam haben alle, dass der eigentliche Höhepunkt nur den Bruchteil einer Sekunde währt. Ich sehe keine Farben, höre keine sphärischen Töne, wenn ich komme. Es explodiert auch nichts. Eher kippt etwas über eine Kante. Ich bin dann mal kurz weg. Hinterher kann ich mich an den Moment nicht mehr erinnern. An das Gefühl schon.
Dieser Augenblick der Ekstase beschreibt die dritte Phase des Orgasmus, den Höhepunkt der sexuellen Erregung. Wissenschaftlich betrachtet gehen ihr die Erregungsphase und daran anschließend die Plateauphase voraus. Letztere erlebe ich oft wie eine Kammwanderung, bei der ich aufpassen muss, nicht wieder den halben Hang runterzurutschen, den ich vorher mehr oder weniger mühsam erklommen habe. Wenn ich ehrlich bin, gehöre ich wohl zu den Frauen, die mitten im Liebensspiel bei aller Leidenschaft nochmal kurz an die To-Do-Liste des Tages denken können. Wirklich steuern kann ich das Gedankengeflatter nicht. Im besten Falle spielt ein Porno im Kopfkino, der störenden Vorstellungen Einhalt gebietet.
An den eigentlichen Höhepunkt schließt sich dann die Auflösungs- oder Rückbildungsphase, in der sich Farbveränderungen der Haut und die angeschwollenen Genitalien wieder in ihren nicht erregten Zustand zurückbilden, die aber auch von einem Gefühl der Befriedigung gekennzeichnet ist.
Soweit die allgemeine Physiologie. Die ändert jedoch nichts daran, dass das orgasmische Empfinden so individuell ist, wie die Person, die es erlebt. Haben Sie schon einmal bewusst über Ihre Orgasmen nachgedacht? Im Anschluss finden Sie einen Fragebogen, der Ihnen helfen kann, sich intensiv mit dem eigenen Höhepunkt zu beschäftigen und diesen bewusster zu erfahren.
Die Frage, ob und wie man die vier Phasen des weiblichen Höhepunkts für andere erfahrbar machen kann, hat die Raumstrategin Merle Marie Eckert in ihrer Bachelorarbeit beschäftigt. Dass der weibliche Orgasmus in philosophischen und künstlerischen Betrachtungen – in der Vergangenheit von Männern dominiert – oft zu kurz kommt, mag wenig überraschen. Ebenso wie die Annahme, der männliche Höhepunkt sei der Maßstab, an dem sich Frauen messen lassen müssten. Quatsch! Als Teetrinkerin maße ich mir auch kein Urteil über Kaffee an. Es wird Zeit, dass wir Frauen darüber reden, wie es sich anfühlt zu kommen.
Mit ihrer aus vier Containern bestehenden Installation DO IT YOURSELF, die sich an den vier physiologischen Phasen des Orgasmus orientiert, will Merle Eckert Menschen mit oder ohne Klitoris anregen, sich mit dem Thema des weiblichen Orgasmus auseinanderzusetzen. Sie möchte die Kommunikation anstoßen, denn darüber, dass wir Frauen es uns selber machen und wie wir kommen, die Ekstase, den Rausch, die kosmische Weite und Intensität, darüber wird weiter nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen, selbst unter Freundinnen. Kurioserweise lässt sich über Zahnschmerzen und andere Malaises deutlich leichter reden als über orgasmisches Vergnügen. Vielleicht würde es der Kommunikation helfen, einen Orgasmus wie ein Vier-Gänge-Menü zu beschreiben.
Die Installation von Eckert ist der Versuch, die einzelnen Phasen eines Orgasmus hintereinander räumlich erlebbar zu machen. Besucherinnen und Besucher können durch die Container gehen – von der Erregung über Plateau und Höhepunkt bis zum Zustand zur anschließenden Befriedigung. Die Umsetzung beruht auf den Ergebnissen einer kleinen empirischen Umfrage, vor allem aber auf der subjektiven Entscheidung der Künstlerin. Es gibt kein Richtig oder Falsch, weil jede und jeder einen Orgasmus anders empfindet. Aber genau das kann der Ausgangspunkt sein, die eigene Erfahrung zu teilen, ins Gespräch zu kommen und damit an einem Tabu zu rütteln. Denn das Private ist politisch.
Bisher existiert die Installation nur auf dem Papier. Wer traut sich, diese umzusetzen?
In Séparée No.25 finden Sie weitere Infos sowie den Fragebogen von Merle Eckert.
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