Monika Häusler folgt einer besonderen Berufung: Sie erfüllt behinderten Menschen ihre sexuellen Wünsche. Dass sie Geld dafür nimmt, macht sie offiziell zur Prostituierten. Doch durch ein Zertifikat des Instituts zur Selbst-Bestimmung Behinderter (ISBB) kann sie sich als ausgebildete Sexualbegleiterin bezeichnen. Sépareé traf eine selbstbewusste Frau, die weiß, was sie gibt.
Text: Cäcilia Fischer
Foto: Privat
Wer Monika Häusler das erste Mal trifft, könnte sie für eine Künstlerin, Schauspielerin oder Psychologin halten. Mit rotgeschminkten Lippen sitzt sie schick und elegant im Café. Darauf angesprochen lacht die attraktive Endvierzigerin, bedankt sich und streicht kokett das Haar aus dem Gesicht. “Ich bin eher eine Muse und arbeite auch als Aktmodell. Aber eigentlich bin ich Sexualbegleiterin.” Was bedeutet: Monika erfüllt Behinderten ihre sexuellen Wünsche und bekommt Geld dafür. Man könnte sie auch eine Prostituierte nennen, doch das wird ihrer Arbeit nicht gerecht. Monika hat Körperkontakt mit “Ratsuchenden”, wie sie Menschen mit Behinderung nennt, weil sie es mag und etwas geben möchte.
“Haben Sie sich je gefragt, ob und wie ein Mensch mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen Sex hat?”, fragt sie mich gleich zu Beginn unseres Gespräches. Ich verneine. Sie lächelt sanft. “Ich habe mich das vor etwa fünf Jahren zum ersten Mal gefragt, als ich mich öfters mit einer etwa sechzigjährigen Nachbarin traf. Wir sind zusammen einkaufen gegangen, waren schwimmen und haben viel geredet. Manchmal war auch ihr geistig behinderter und autistischer Sohn dabei, der nicht sprechen konnte, körperlich aber unversehrt war. Ich habe mich dabei erwischt, wie ich dachte: Hat er eine Freundin? Hat er Sex? Irgendwann erzählte mir seine Mutter von selbst mehr von ihrem Sohn – und dass sie einmal mit ihm geschlafen habe. Aber nicht aus eigener Lust, sondern weil sie wollte, dass er das Gefühl kennenlernt. Dass er einmal etwas bekommt, was ihm sonst verwehrt bleibt. Danach sei es nie wieder passiert.”
Monika hält inne und schaut mich prüfend an. Ob ich das verstehen könne, will sie wissen. Ich verneine, hatte mir aber bereits die Frage gestellt, wie ein behinderter Mensch ohne Partner seine Bedürfnisse ausreichend stillen kann. Gut, es gibt genügend Internetforen für Menschen, die Sex mit einem Versehrten gezielt suchen, und sicher auch solche, die es anbieten. Das erscheint mir jedoch unseriös. Monika hatte diese Gedanken damals auch. Sie teilte sie mit ihrem Lebensgefährten, den es jedoch nicht interessierte und der es abstoßend fand, dass eine Mutter mit ihrem Sohn schlief. Monika ja auch. Als sie dann aber eine Freundin vor einem Jahr auf eine TV-Dokumentation aufmerksam machte, in der es um sogenannte Berührerinnen ging, wurde sie aktiv. “Ich habe recherchiert und bin im Internet auf das Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter, das ISBB, gestoßen. Deren damaliger Chef Lothar Sandfort ist seit einem Unfall, den er mit 20 hatte, querschnittsgelähmt. Er kennt die Belange von Behinderten und ihre Not. Also hat er etwas unternommen, für andere.”
Lothar veranstaltet seit 20 Jahren in einem Landhaus im wendländischen Trebel Erotikwochenenden, zu denen Behinderte kommen, um Sexualität zu erleben. Er weiß, dass viele von Sexualität ferngehalten werden, um ihnen zusätzliches Leiden an ihrem Körper zu ersparen. “Das ist aber Quatsch”, erklärt Monika bestimmt. “Lothar will möglichst vielen Behinderten zeigen, dass sie ein Recht auf Sex haben, sie aber nicht warten sollen, bis es den Sex auf Krankenschein gibt wie in Holland oder Dänemark. In Trebel können sich Ratsuchende austauschen, und sie können sich eine Tantra-Massage geben lassen. Die wird im Vorfeld und danach auch besprochen, um zu schauen, ob es ihnen guttut. Sie können zeigen, was sie von anderen mögen und was sie an sich mögen. Und sie können auch mit Frauen schlafen, die für den Sex-Workshop wie ich extra nach Trebel kommen, für etwa 90 Euro die Stunde.”
Offiziell ist Monika in Deutschland nach dieser Definition eine Prostituierte. Sie selbst nimmt die Berufsbezeichnung für sich nicht an. “Zum Einen habe ich in Trebel eine Ausbildung zur Sexualbegleiterin gemacht und dafür ein Zertifikat bekommen. Zum anderen hat eine Prostituierte andere Beweggründe als eine Sexualbegleiterin. Ihr geht es nur ums Geld, sie würde sicher auch nicht alles machen und vielleicht sogar unfair agieren. Es muss aber darum gehen, einem Ratsuchenden zu helfen, ihm etwas zu geben. Das fängt schon damit an, dass auch er selbstbestimmt entscheiden kann, was er vom Leben möchte. Dazu gehört auch Sex. Der läuft dann sicher nicht immer im klassischen Sinne ab, aber darum geht es auch nicht.”
Monika hat ihre Stimme erhoben, unsere Tischnachbarn schauen irritiert zu ihr herüber. Die Wahl-Berlinerin lässt sich davon nicht beirren. “Es gibt nun mal den Artikel zwei im Grundgesetz, wonach jeder das Recht auf die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit hat. Dazu zählt für mich auch der Sex. Und es gibt Artikel vier, das Verbot der Leibeigenschaft. Auch ein Ratsuchender muss sich entwickeln können. Und dafür möchten sowohl das Institut als auch ich da sein.”
Einfach ist es nicht. Das neue Prostituiertenschutzgesetz, das im Juli 2017 eingeführt würde, besagt: „Wer eine Tätigkeit als Prostituierte oder als Prostituierter ausüben will, hat dies vor Aufnahme der Tätigkeit persönlich bei der Behörde, in deren Zuständigkeitsbereich die Tätigkeit vorwiegend ausgeübt werden soll, anzumelden.“ Monika versuchte, sich im Gesundheitsamt ein Gesundheitszeugnis ausstellen zu lassen und sich beim Finanzamt zu registrieren. Ohne Erfolg. Da die Arbeit als Sexualbegleiter / Sexualbegleiterin kein geschützter Beruf ist und sie Geld für Sex nimmt, wird sie als Prostituierte eingestuft. “Ich übe meine Arbeit eben praktisch aus. Es gibt auch noch Sexualberater, die sind den Sexualbegleitern vorangestellt, arbeiten aber nicht praktisch. So wie Lothar.“ Er ist inzwischen nicht mehr der Chef des ISBB, unterstützt das Institut aber weiterhin und schaut sehr genau, welcher Sexualbegleiter und welche Sexualbegleiterin auf der Homepage ihre Dienste anbieten dürfen. Ohne Zertifikat geht nichts, was dem Ganzen eine gewisse Seriosität gibt, wie Monika findet.
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