Tot umfallen sollst du!

Der Seitensprung als Sollbruchstelle.

Seitensprünge sind bittersüß. Bitter für die Betrogenen, denn sie müssen sich tausend quälende Fragen stellen; bitter für die Geliebten, die niemals wirklich wissen, woran sie sind und bitter für die Betrügenden, denn sie haben meist ein ziemlich schlechtes Gewissen.

 

Text: Stephanie Katerle
Fotos: © Inger Anne Hulbækdal – Fotolia.com

Eifersucht, Kontrolle, Angst und Wut werden zu Hauptdarstellern auf der Bühne dieser Dreier- oder Viererkonstellationen. Natürlich haben alle Rollen auch süßlichere Seiten (sonst gäbe es keine Seitensprünge): Als Geliebte/r reizt vielleicht das Umworbensein, als Betrügender genießt man Nähe und Intimität mit zwei Personen parallel und als Betrogene/r ist man moralisch im Recht und erfährt oft Solidarität im Leiden. Solch ein Seitensprung, sei es ein betrunkenes Abenteuer mit Start in der Hotelbar oder eine langjährige Affäre, werden -auch durch die gesellschaftliche Bewertung- zu schicksalsträchtigen Ereignissen. Die meisten Trennungen in modernen Beziehungen erfolgen tatsächlich aufgrund von Seitensprüngen. Alles andere scheint in der Summe also erträglicher zu sein als ein untreuer Partner. Wir ertragen grässliche Dinge, halten sie für normal und quälen uns durch Jahre der Einsamkeit zu zweit, weil wir versprochen haben, „in guten, wie in schlechten Zeiten“ beieinander zu bleiben, doch sobald der Seitensprung eintritt, ist das Maß schlagartig voll und der Partner wird in die Wüste geschickt. Die Gründe für die Untreue werden oft überhaupt nicht angehört. „Männer sind Schweine“ und „Frauen huren rum“. Zack, fertig, aus und tschüs. Eine/r packt die Koffer, zieht aus und mit neuen Partnern oder als frisch gebackener Single beginnt ein neues, hoffentlich besseres Spiel. Steuerklasse eins für ihn und sie wird zur Alleinerziehenden. Das Haus wird verkauft und die Kinder kommen alle zwei Wochen zu Papa. Es ging nicht anders. Er hat mich betrogen, sie hatte einen anderen. Ach so.

In meinen Coachings kommt auch immer wieder die Untreue als Beziehungskiller zur Sprache.

Jörn und Uta lassen sich beraten. Jörn hat keine Minute Zeit für Uta und die Kinder, die Arbeit geht immer vor. Sie leidet unter der Überbelastung, fühlt sich abgewiesen, baut mit ihren Kräften ab. Uta weiß schon lange nicht mehr, warum sie noch bei ihm ist. Doch sie sagt: „Wenn er nun fremdgehen würde, dann wäre ich längst weg. Aber so? Irgendwas muss man da doch machen können.“

Thomas und Henriette sind seit vielen Jahren ein Paar. Sie haben keinen Sex mehr, streiten viel und leben nach eigenen Angaben wie in „paralleler Einzelhaft“. Sie reden kaum noch miteinander. Nun hat Henriette in der Kur einen anderen Mann kennengelernt, den sie manchmal zum Kaffeetrinken trifft. Thomas sagt: „Mach nur so weiter. Wenn du mit ihm ins Bett gehst, ist es aus!“

Christian und Valeska streiten sich seit Jahren wie die Kesselflicker um immer die gleichen Alltagsthemen. Manchmal kann sich Valeska nicht mehr kontrollieren und schlägt zu. Neulich hatte Christian eine Platzwunde am Kopf. Er sagt: „Ich weiß auch nicht, warum wir noch zusammen sind. Aber es hat ja nicht mal einer eine Affäre. Also muss die Beziehung ja noch zu retten sein. “

In allen drei Beispielen fungiert der Seitensprung als letzter Ausweg aus einer verzwickten Beziehungslage. Er ist die Sollbruchstelle. Bis dahin geht es weiter, danach ist es unwiderruflich vorbei. Wenn der Untreue-Fall eintritt, ist die Liebe aus. Warum ist der Seitensprung im Gegensatz zu allen anderen Bruchstellen das Tabu, an dem man nicht vorbei zu kommen scheint? Warum dämonisieren wir die Hinwendung zu einem anderen Menschen mehr als offensichtliche Lieblosigkeit oder sogar Gewalt?

Anders liegt der Fall bei Lutz und Romina. Lutz hat während einer Geschäftsreise vor vier Jahren eine Nacht mit seiner Kollegin verbracht. Romina kam durch Hotelquittungen auf den Seitensprung. Seither bringt sie diese Verfehlung immer wieder zur Sprache und meistens dann, wenn die beiden über ganz andere Dinge diskutieren. Lutz würde Romina gern erklären, was ihn damals bewegte, würde gern seine Gefühls- und Bedürfnislage klar machen. Aber sähe das nicht nach Rechtfertigung aus? So hält er es aus, dass seine Freundin das Abenteuer zu jeder Gelegenheit als letztes „Killer-Argument“ ins Feld führt. Offenbar hat er diese Strafe ja verdient. „Etwas in unserer Beziehung ist seither zerbrochen. Ich glaube, das ist nicht das Vertrauen“, sagt Lutz. „Ich glaube, es ist die Augenhöhe, die ich am meisten vermisse. Das offene, gerade Gespräch. Ich fühle mich total hilflos und Romina spielt ihre Macht als Betrogene gnadenlos aus.“

Seitensprünge sind Ausflüge in die Grauzonen fester Beziehungen. Sie werden einerseits tabuisiert und zum Drohszenario aufgebaut, andererseits existieren etliche Berufszweige, die aus der Unehrlichkeit von Liebespartnern ihre Existenzgrundlage beziehen. Wenn Beziehung „Arbeit“ ist, wie uns tausenderlei Bücher seit Jahren suggerieren, dann ist der Seitensprung „Vergnügen“. Alibi-Agenturen, Sex-Plattformen im Netz, Sauna-Clubs, Veranstalter erotischer Partys und Hoteliers (insbesondere solche, die Vereine beherbergen) leben üppig davon, dass Paare nicht miteinander über ihre Lüste sprechen können. Wussten Sie, dass manche Hotels Zimmer „zwischenvermieten“? Bei Spätanreise wird das Zimmer am Nachmittag noch für Schäferstündchen an illegitime Liebespärchen vermietet. Huren sorgen nicht nur für körperliche Entspannung, sondern bieten auch vielfach ein offenes Ohr für Nöte und Bedürfnisse. An dem Herzeleid und der inneren Zerrissenheit sowie der Lust auf fremde Haut und Input im schal gewordenen oder derzeit dümpelnden Beziehungsleben verdienen bestimmte Geschäftszweige recht ordentlich. Die Umsätze, die mit Seitensprüngen gemacht werden, gehen in die Milliarden.

Semilegal flirten, knutschen und schlafen sich z.B. ganze Reisebusse voller Vereine in den Hotels der Mittelgebirge durch ihre Wochenenden. Dort treffen Kegelclubs aus Herne auf Frauenchöre aus Dresden, verbringen bierselige Stunden und mehr oder weniger heiße Nächte miteinander, um anschließend wieder in ihre Familien zurückzukehren, als sei nichts passiert. Alles im gesellschaftlich tolerierten Rahmen. Hier hat die Grauzone eine sichtbare und gelebte Heimat.

Solche Grauzonen werden trotz des Tabus stillschweigend geduldet, denn die Zweierbeziehung mit Trauschein nutzt Staat und Kirche am meisten. Fest verbandelte Paare sind in Verwaltung und Politik leichter zu führen, Kleinfamilien bilden ein solides Fundament für zuverlässig fließende Steuergelder. Sie bauen Häuser, schließen Versicherungen ab und legen ihr Geld an. Aber auch Staat und Kirche profitieren vom Tabu des Seitensprungs. Wäre die Untreue nicht mehr dämonisiert, könnten alle leben und lieben und sich vergnügen, wie sie wollen. Unkontrollierbare Verbünde und Netzwerke von erotischen und emotionalen Interessensgemeinschaften könnten entstehen. Was für ein Tohuwabohu! Wirklich? Würden wirklich alle in die freie Liebe wechseln, wenn die Drohkulisse auch nur gelockert würde? …

 
 

Den vollständigen Artikel lesen Sie in Séparée No.13.

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