Adrineh Simonian (44) studierte zunächst Violine, Klavier und Gesangspädagogik in Wien, absolvierte schließlich die Opern- und Operettenschule des Konservatoriums. Bis 2014 sang die armenisch-österreichische Opernsängerin an der Volksoper Wien. Seit 2016 produziert sie für arthousevienna.at feministische und experimentelle Pornografie. Wir waren beim Dreh dabei und haben mit ihr über Feminismus, Sexismus und die Frage, warum gerade Männer für feministische Pornos bezahlen, gesprochen.
Interview: Eva Reisinger
Fotos: Arthouse
Das mit dem Porno begann an einem Nebentisch in der Kantine der Volksoper Wien. Adrineh Simonian trank mit Freunden einen Kaffee, als Kollegen am Nebentisch über Pornografie zu reden begannen. Bereits in ihren Gesprächen betätigten sie sich jeglicher Klischees: Die Männer prahlten, welche Pornos sie gut fänden, und die Frauen meinten, dass Pornografie grundsätzlich frauenfeindlich sei. Danach konnte Adrineh Simonian nicht aufhören über Pornografie nachzudenken. Sie beschäftigte sich mit Erika Lust und Petra Joy und trotzdem fehlte ihr etwas. Es war nicht die Nacktheit oder der Akt an sich, der die Mezzosopranistin faszinierte, sondern die Psychologie dahinter. Nackt sein könne schließlich jeder, aber zu verstehen, warum sich jemand ausziehe und welche Gefühle dabei aufkämen, das faszinierte sie.
Mit 42 kündigte sie schließlich ihren Job als Mezzosopranistin und begann, feministische Pornografie in Wien zu produzieren. Zu Beginn wusste sie nicht einmal, wie man eine Kamera einschaltet. Filmen und Bearbeitung brachte sie sich selbst bei. Später holte sie sich Patrick Catuz, den Autor des Buches „Feminismus fickt!: Perspektiven feministischer Pornographie“, sowie ihre Nichte als Regieassistentin ins Boot. Nach den ersten Probeaufnahmen mit Sklavinnen in Berlin stellte sie fest, dass es wirklich funktionierte: Pornografie abseits des Mainstreams konnte klappen. Heute produziert die ehemalige Opernsängerin hauptberuflich Clips wie „Blind Date“, in dem zwei Menschen mit verbundenen Augen miteinander schlafen, die sich noch nie zuvor gesehen haben.
Im Gespräch mit Séparée erklärt Simonian, warum es in ihren Filmen keine Verbote gibt und auch mal Blut zu sehen sein darf.
Séparée: Liebe Adrineh, du beschreibst deine Filme oft als ästhetisch. Geräusche und Flüssigkeiten beim Sex sind oft das Gegenteil.
Adrineh Simonian: Genau das will ich zeigen. Ästhetik bedeutet nicht, dass es schön sein muss. Im Gegenteil. Es gibt eine schöne, aber auch eine hässliche Ästhetik. Mein Film „Die Party“fängt damit an, dass eine Frau sexy, fast orgiastisch, Erdbeeren isst und endet damit, dass die beiden Körper voll mit Schokolade, Schlagsahne, Birnen und Bananen verschmiert sind. Aus dem Sinnlichen wurde so etwas fast Ekelhaftes. Auch das stellt für mich eine Form der Ästhetik dar. In meinem allerersten Video arbeitete ich mit den Pornodarstellern MadKate und Ganymed. Kate erklärte mir vor dem Dreh erschrocken, dass sie ihre Tage bekommen habe. Ich antwortete ihr, es hätte nichts Besseres passieren können. Im Film sieht man dann auch, wie er ihr liebevoll den Tampon herauszieht und später die Blutspuren auf seinem Körper. Mir war es wichtig, das zu zeigen. Die Menstruation gehört zum weiblichen Körper und somit auch zum Sex dazu.
Wie funktioniert deine Produktion? Besprecht ihr, was im Film passiert?
Egal mit wem ich arbeite, zuerst schreiben wir mal lange E-Mails hin und her. Dabei können mich Darsteller alles fragen, was sie interessiert und beschäftigt. Wenn die Leute später bei mir vor der Tür stehen, darf man sich nicht vorstellen, dass ich sage: „So, jetzt ausziehen und los.“ Wir trinken erst mal einen Kaffee, reden über Politik, Kunst, Gott und die Welt. Erst wenn sie so weit sind und beginnen wollen, zeige ich ihnen alles. Dann ziehen sie sich aus oder um, und danach stelle ich die Kameras ein. Zum Schluss wünsche ich ihnen noch viel Spaß und gehe raus.
Du bist also beim Dreh gar nicht dabei?
Nur bei Paaren filme ich gemeinsam mit dem Team, denn zwei Personen bewegen sich beim Sex einfach mehr. Meist nehmen wir aber Solo-Clips auf, und diese Darsteller lassen wir mit der Kamera allein. Ich habe bisher leider nur wenige Paare aufgenommen, und einen genialen Film musste ich wieder rausnehmen. Die Frau wollte unerkannt bleiben und trug deshalb eine Maske. Sie wurde aber erkannt, darauf angesprochen und geriet in Panik. Daraufhin nahm ich den Clip von meiner Seite. Obwohl er der meist verkaufteste Film war, ist das für mich eine Frage der Ethik. Ich kann nur Videos hochladen, bei denen die Menschen zu 100 Prozent dahinter stehen. Wenn sich jemand unwohl fühlt – auch nach einem Jahr, nehme ich das raus.
Wenn Menschen sich zum ersten Mal beim Sex filmen lassen, haben sie Angst?
Ja, natürlich. Ihre Angst ist immer dieselbe: Dass sie unästhetisch im Internet dargestellt werden. Mein ursprüngliches Ziel war es, Frauen in meinem Alter zu filmen, aber genau meine Generation macht da nicht mit. Sie erklären mir: „Ich habe zwei Kinder und darum ein paar Kilo zu viel. Ich habe Cellulite, ich bin zu alt oder niemand will mich sehen.“ Ich versuche ihnen zu erklären, dass die Leute echte Frauen sehen wollen. Trotzdem kann ich ihre Ängste gut nachvollziehen.
Wen wünschst du dir vor die Kamera?
Ich will Menschen filmen, die mit ihrer Sexualität sehr persönlich und intim umgehen (lacht). Ja, das klingt komisch, aber genau diese Personen reizen mich. Darsteller, die einfach nur eine Plattform suchen, um ihre Beine zu spreizen und sich denken, „Geil, jetzt sieht man meine Muschi“, interessieren mich nicht. Dafür gibt es genug Plattformen. Und das hat ebenfalls seine Berechtigung. Ich will Menschen filmen, die etwas zu sagen haben, sich reflektieren, ein soziales Leben, einen Beruf oder Familie haben.
Du arbeitest also nicht mit professionellen Pornodarstellern?
Doch, aber nur für bestimmte Formate. Wir produzieren gescriptete und Amateur-Filme. Wenn ich mit professionellen Fem- oder Alternative-Porn-Darstellern arbeite, suche ich ebenfalls nach Menschen, die einen besonderen Zugang zu ihrer Sexualität haben. Eigentlich ist das Nachdenken, wie und mit wem ich arbeiten will, ein sehr großer Teil meines Jobs geworden. Die Frage, mit welcher Einstellung und welchen Menschen ich drehen will, wird immer wichtiger. Grundsätzlich wäre diese Gruppe von Menschen, die mich interessiert, gar nicht so klein. Viele sind begeistert von der Idee, wollen es versuchen, haben aber gleichzeitig unglaubliche Angst stigmatisiert zu werden. Darum ist es mir wichtig, ethisch sauber zu arbeiten. Für mich ist das der einzige Weg, gegen die Stigmatisierung anzukämpfen. Im Team scherzen wir manchmal, dass wir im Grunde eine psychotherapeutische Begleitung bieten.
Bezahlst du deine Darsteller oder machen die das für lau?
Natürlich werden sie — egal ob professionelle Darsteller oder Amateure — bezahlt. Zumindest eine Entschädigung für ihre Zeit erstatte ich immer. Bei den Profis halten wir uns an die branchenüblichen Tages-Honorare zwischen 400 und 500 Euro. Wobei ich mich weigere, Frauen mehr zu bezahlen als Männern. Die Porno-Industrie ist ja das einzige Gewerbe, wo Frauen mehr Geld als Männer verdienen. Ich sehe das nicht ein. Ich will meine Darsteller gleichwertig behandeln und auch bezahlen.
Wer sollte mit euch drehen?
Bei uns kann man sehr niederschwellig beginnen. Das ist ein großer Vorteil. Formate wie die „Blackbox“ermöglichen es, anonym zu bleiben und allein im Raum zu sein. Dabei kann man gut herausfinden, wo die eigenen Grenzen liegen und wie es einem mit der Kamera geht. Das bietet einen sehr soften Einstieg, den es im Mainstream nicht gibt. Außerdem setzen wir uns mit unseren Darstellern intensiv auseinander. Für uns ist es selbstverständlich, niemanden zu pushen, und jeder darf selbst am Drehort noch absagen. Auch wenn das für unsere Produktion natürlich schlimm ist, gilt es für mich als eine Grundvoraussetzung, dass sich meine Darsteller wohl fühlen und zu 100 Prozent sicher sind, dass sie das gerade machen wollen. Ich denke, wir sind eine gute Adresse für ein, ja nennen wir es, ethisch korrektes Sex-Abenteuer …
Das vollständige Interview lesen Sie in Séparée No.14.
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