Leben mit HIV

Isabelle (Name geändert) ist eine von geschätzten 87.900 HIV-positiven Getesteten in Deutschland. Die heute 28-Jährige lebt ein ganz normales Leben in Berlin als Projektmanagerin. Vor vier Jahren sah das noch anders aus. Gesundheitlich ging es ihr immer schlechter und kein*e Ärzt*in konnte ihr helfen. Dann kam die Diagnose „HIV-positiv“. Unbehandelt vermehrt sich das Virus im Körper und schwächt das Immunsystem. Selbst kleinste Infektionen wie eine Erkältung werden zur Gefahr. Ab diesem Punkt spricht man von AIDS. Doch Isabelle hat Glück im Unglück: Das HI-Virus wurde bei ihr rechtzeitig diagnostiziert. Aber wie lebt es sich eigentlich mit dieser Infektion, die immer noch stigmatisiert ist?

Interview: Sophie-Claire Wieneke
Fotos: sewcream/stock.adobe.com, DAH/Frederik Ferschke

Séparée: Wie hast du dich infiziert?

Isabelle: Ich habe mich durch ungeschützten Sex mit dem HI-Virus infiziert. Im Nachhinein war das eine wirklich blöde Idee.

Welche Rolle hat HIV vor deiner Erkrankung in deinem Leben gespielt, bzw. war das überhaupt ein Thema für dich?

Vor meiner HIV-Diagnose hatte ich mit dem Virus eigentlich keine wirklichen Berührungspunkte. In der Schule hat man uns im Religionsunterricht Bilder von Aids-Erkrankten gezeigt. Offensichtlich war das aber pädagogisch betrachtet keine wirkungsvolle oder präventive Maßnahme. Bis zu meiner eigenen Erkrankung wusste ich wirklich nichts über die beeindruckende Tatsache, dass HIV als chronische Infektion bereits seit einigen Jahren medikamentös behandelbar ist. Mit den richtigen Medikamenten und guter ärztlicher Betreuung habe ich eine ganz normale Lebenserwartung und kann andere Menschen weder im Alltag noch beim Geschlechtsverkehr infizieren. Dank der Medikamente kann ich, wenn ich möchte, auch gesunde Kinder zur Welt bringen und sie auch stillen. All das macht mir das Leben mit der Infektion ziemlich leicht. Für Menschen, die vor zehn oder zwanzig Jahren positiv diagnostiziert wurden, war das alles medizinisch und psychisch gesehen noch viel schwieriger. Ich bin super dankbar und froh über die spezialisierte Betreuung, die ich bekomme. Ohne die wäre ich nicht so gut drauf, wie ich es bin.

Wie und wann hast du gemerkt, dass mit deinem Körper etwas nicht stimmt?

Ich war Mitte 20, hatte gerade mein Studium erfolgreich absolviert, einen neuen Job in Berlin angefangen. Theoretisch war ich voller Lebenslust, aber praktisch hatte ich keine Energie, war ständig erschöpft, litt unter irgendwelchen Infektionen und Ausschlägen. Mein sonst so fitter Körper, auf den ich mich immer verlassen konnte, hat verrückt gespielt. Die Ärzte dachten, es wären die Nachwirkungen einer Mononukleose, einer eher harmlosen viralen Infektion. Aber Pustekuchen! Es hat lange gedauert, bis ich auf die Idee kam, einen HIV Test zu machen. Der Arzt versicherte mir, dass dieser Schritt nicht nötig wäre. Ich habe aber gespürt und irgendwie auch gewusst, dass etwas nicht stimmt.

Wie hast du den Tag deiner Diagnose erlebt? Was waren deine Gedanken und Gefühle?

Die Diagnose war ein kompletter Schock und traf mich total unerwartet. Nach so viel körperlichem Leid und Abgeschlagenheit war ich froh darüber, eine Antwort auf all das zu haben, und endlich ernst genommen wurde. Einer der Ärzte, den ich vor meiner Diagnose aufgesucht habe, meinte einmal zu mir: „Sie haben zu viel Stress, machen Sie mal eine Entspannungsübung!“. Dabei brauchte ich lebensrettende Medikamente, und keine Entspannung…

Hattest du Angst davor, deiner Familie und deinen Freunden von deiner Diagnose zu erzählen?

Angst davor, meinen Freunden von der Diagnose zu erzählen, hatte ich keine. Die haben total genial darauf reagiert und gehen auch heute noch immer total cool damit um. Es meiner Familie zu erzählen, war da schon schwieriger. Ich wollte einfach keine Sorgen und Ängste verbreiten. Ich habe gewartet, bis ich wusste, dass die Medikamente wirken und es mir besser geht, bevor ich es ihnen erzählt habe. Besonders schwer gefallen ist es mir bei meiner Mama (Sie ist katholisch). Aber auch sie war letztendlich nur unterstützend und froh, dass es mir dank der Medikamente so schnell wieder besser ging.

Wie waren die Reaktionen von deiner Familie und deinen Freunden auf die Diagnose??

Zuerst waren alle geschockt und bestürzt darüber, da sie HIV nur aus dem Fernsehen kannten und nicht wussten, was die Medizin in den letzten Jahren bewirkt hat. Doch letztlich waren sie alle froh, dass mir nun geholfen werden konnte. Mein damaliges Date hat mich, nachdem ich es unter Tränen erzählt habe, erstmal zum Frühstück mit Pancakes eingeladen und mir einfach zugehört. Viele Freunde haben gesagt: „Ganz ehrlich, das hätte auch ich sein können.“ Man hat halt mal ungeschützt Sex. Einige sind daraufhin zum/r Ärzt*in gegangen und haben sich testen lassen, was eine gute Idee war! Bei einigen wurde tatsächlich etwas gefunden: Chlamydien, Syphilis und jemand erzählte sogar von Hepatitis. Darum auch meine Botschaft: Liebe Leute, nehmt die genitale Gesundheit ernst!

Wie sieht deine Behandlung aus?

Ich nehme jeden Tag eine einzige Tablette und kombiniere diese noch mit Vitaminen, nur zur Sicherheit. Ich liebe einerseits meine Medikamente, weil sie mich völlig gesund und voller Energie durch das Leben rennen lassen. Anderseits macht es mir Angst, dass mein Leben von ihnen abhängt. Wenn ich sie über einen längeren Zeitraum, wir sprechen hier über Wochen, weglasse, droht der Virus zu mutieren und resistent zu werden. Um das zu verhindern, nehme ich sie sehr regelmäßig und gehe alle drei Monate zur Kontrolle bei meinem behandelnden Facharzt.

Wie sieht es mit Nebenwirkungen aus, gab/gibt es da Probleme?

Gott sei Dank habe ich außer ein wenig Bauchschmerzen keine weiteren Nebenwirkungen.

Wovor genau schützen die Medikamente dich und dein Umfeld?

Die Medikamente verhindern, dass der HI-Virus sich im Blut vermehrt. Sie legen ihn quasi lahm, so dass er mein Immunsystem nicht schädigen kann. Das führt dazu, dass die Viruslast im Blut und in anderen Körperflüssigkeiten, wie beispielsweise der Scheidenflüssigkeit, nicht mehr nachweisbar ist. Das klappt aber nur, wenn die Medikamente konstant eingenommen werden. Eine nicht behandelte HIV-Infektion kann ansteckend sein. Dadurch, dass mein Virus lahmgelegt ist, kann ich ihn nicht mehr übertragen!

Das vollständige Interview sowie weitere Informationen zu HIV/AIDS finden Sie in Séparée No.28.

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