Noradevot arbeitet als Webcam-Girl. Sie ist, wenn man so will, Stripperin mit gewissen Extras im Home Office, denn Geld verdient sie, indem sie ihren Zuschauern vor laufender Kamera erotische Wünsche erfüllt. Für Frauen bietet dieser Beruf Möglichkeiten, an den Gewinnen der traditionell männlich dominierten Pornoindustrie direkt zu partizipieren. Wir haben mit ihr über Männerträume, berufliche Freiheiten und Heiratsanträge gesprochen.
Interview: Janina Gatzky
Fotos: Glockner Photography
Séparée: Klären Sie uns kurz auf. Was genau ist bzw. macht ein Webcam-Girl?
Nora: Also als Webcam-Girl ist man meist mit seinem Künstlernamen auf mehreren Portalen angemeldet. Man benötigt eine technische Grundausstattung wie Laptop und Webcam und gutes Licht. Bevor man die Cam an macht, überlegt man sich, was man zeigen möchte. Ich ziehe dann meist Dessous an und passende High Heels, manchmal auch Lack und Leder oder mal ein Cosplay-Outfit, so dass es für die User abwechslungsreich bleibt. Außerdem lege ich eine Auswahl an Sexspielzeug bereit. Dann mach ich die Cam an, begrüße die ersten User, schau, worauf diese Lust haben, was ihre Vorlieben sind und ob ich diese umsetzen kann. Meist möchten die User mir dabei zusehen, wie ich mich langsam ausziehe und befriedige. Oft kommt es vor, dass ich ihnen währenddessen beim Masturbieren zusehe. Dirty Talk darf dabei nicht fehlen.
Wie würden Sie einen typischen Arbeitstag beschreiben?
Sobald ich aufgestanden bin, gefrühstückt und mich geschminkt habe, ziehe ich mir hübsche Dessous an und mache die Cam an, meist morgens oder mittags eine Stunde. Dann kümmere ich mich um den Haushalt, mache Fotos für die sozialen Netzwerke, beantworte E-Mails und Chat-Nachrichten. Manchmal drehe und schneide ich noch ein Video. Einen Kameramann hab ich nicht. Mein Drehpartner hilft mir nur bei einigen Szenen mit dem Handy, damit man mich aus verschiedenen Perspektiven sehen kann. Abends gehe ich nochmal eine Stunde in die Cam, je nach Lust und Laune. Als Webcamgirl ist es wichtig, immer präsent zu sein. Nicht nur auf der jeweiligen Plattform, auf der man camt, sondern auch auf Social Media. Es gibt viel Konkurrenz, die User haben also viele Cams zur Auswahl. Vielen ist es wichtig, eine Art Bindung zum Amateur und Webcam-Girl aufzubauen. Sie kommen dann regelmäßig in die Cam und man lernt sich immer besser kennen, weiß, was der andere mag und es entstehen sogar Freundschaften.
Das klingt jetzt aber doch recht entspannt. Verdient man denn so genug zum Leben?
Das ist sehr unterschiedlich und kommt natürlich auf jeden selbst an. Da man als Webcam-Girl selbstständig ist, hat man es in der Hand, wie viel man camt und wie oft man neue Videos dreht. Je kreativer und präsenter man auf der jeweiligen Plattform ist, umso öfter werden die Videos auch gekauft und umso mehr verdient man damit. [Anm. der Redaktion: Mit Webcamming lassen sich mehrere Tausend Euro pro Monat verdienen.] Es kommt auch darauf an, wie viele User gleichzeitig in der Cam sind. Bei mir oft bis zu sieben Männer gleichzeitig. Manchmal geh ich dann mit einem der User in die private Cam, wenn er sich das wünscht, damit er mit mir alleine schreiben kann. Dies kostet dann dementsprechend mehr. Generell wird man als Camgirl meist pro Minute bezahlt. Das heißt, sobald man auf dem Portal in die Cam geht, zahlt jeder User, der zusehen möchte, einen gewissen Betrag, den man selbst festlegt. Das Portal bekommt natürlich noch einen Teil der Einnahmen. Mit Bildern und Videos oder auch getragener Unterwäsche verdient man noch zusätzlich. Man kommt schon gut zurecht.
Webcam-Girl und Amateurpornodarstellerin – Beruf oder Berufung? Oder anders gefragt: Wo beginnt die virtuelle Prostitution?
Ich sehe mich nicht als virtuelle Prostituierte, da ich keine ständig wechselnden Partner habe und auch keine Treffen für Geld mache, sondern eher als Dienstleisterin. Ich verkaufe nicht meinen Körper, sondern vielmehr Fantasien. Ich achte auf Angebot und Nachfrage, biete den Usern immer neue Videos an und eine schöne Zeit mit mir vor der Webcam. Als Camgirl ist es wichtig, auf die User einzugehen, freundlich zu sein, spontan auf ihre Wünsche zu reagieren, aber auch seine Grenzen zu kennen und dazu zu stehen. So sehe ich das. Ich mache nur das vor der Cam, womit ich mich wohlfühle. Für mich ist dieser Beruf meine Berufung. Man spürt einfach, ob es das Richtige ist, und für mich fühlt es sich so an.
Die Pornoindustrie ist traditionell von Männern und ihrem Blick auf Frauen geprägt. Als Camgirl haben Frauen die Möglichkeit, hier direkt Einfluss zu nehmen und auch wirtschaftlich an diesem Geschäft zu partizipieren. Haben Sie den Eindruck, dass sich die Darstellung von Frauen ändert, wenn Frauen selbst bestimmen, wie sie sich für Männer in der Cam präsentieren?
Ich denke schon, dass wir Frauen es zum Teil in der Hand haben, wie wir gesehen werden wollen. Ob wir uns alles gefallen lassen oder ganz klar zu unseren Grenzen stehen. Bei mir ist es so, wenn jemand mir nicht mit Respekt gegenübertritt, direkt erniedrigend schreibt o.ä., mache ich ihm klar, dass mir das nicht gefällt. Es ist nun aber so, dass, mich eingeschlossen, vielen Frauen gefällt, wenn der Mann dominant ist und es beim Sex grober zur Sache geht. Doch viele vergessen, dass es dafür viel Vertrauen braucht, damit man sich fallen lassen kann und es für viele Frauen eher abstoßend ist, wenn ein fremder Mann in der Cam so mit einem umgehen möchte. Hier ist es dann wichtig, ganz klar „nein“ zu sagen und nur das zu machen, womit man sich auch wohlfühlt. Da es aber immer Frauen geben wird, die den Männern genau das sagen, was sie hören wollen, kann ich schwer beurteilen, ob sich das Bild für den Mann wirklich ändern wird.
Sie sind eigentlich ausgebildete Erzieherin und haben auch mehrere Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Was war der Auslöser, den Beruf zu wechseln? Und wieso dann ausgerechnet in die Erotikbranche?
Ich war schon längere Zeit ziemlich unglücklich. Auch wenn die Arbeit mit Kindern mir viel Spaß gemacht hat, störte mich das ganze Drumherum. Jeden Tag das Gleiche: aufstehen, arbeiten, nach Hause fahren, essen, schlafen. Urlaub nur dann, wenn die Kita geschlossen hatte. Ich dachte oft: Da muss es doch noch mehr geben! Ich wollte mich freier fühlen, meinen Tagesablauf selbst bestimmen, meine eigene Chefin sein. Dann gab es einen großen Umbruch in meinem Leben – die Trennung von meinem Freund und der Auszug aus der gemeinsamen Wohnung in eine WG. Ich informierte mich über andere Jobs und die Selbstständigkeit, unterhielt mich mit einem Freund darüber. Da ich sexuell sehr aufgeschlossen bin, zeigte er mir viele Dokus über Webcam-Girls und die Amateurpornoindustrie. Es reizte mich, mich mit dieser völlig neuen Welt auseinanderzusetzen und zu sehen, wie es mir damit geht und wie weit ich gehen würde. Also meldete ich mich auf einer dieser Plattformen an und probierte es aus. Es machte mir echt viel Spaß und ich kam so gut an, dass ich nur wenige Monate später meinen alten Job kündigte.
Wie hat Ihre Umwelt auf Ihren neuen Beruf reagiert? Erhalten Sie auch Anfeindungen?
Ich habe es allen Menschen, die mir wichtig sind, sprich Freunden und Familie, persönlich erzählt und niemand hat ein Problem damit, so lange ich glücklich bin. Und das bin ich. Anfeindungen bekommt man immer wieder in diesem Job. Man braucht ein dickes Fell. Viele haben ein komplett falsches Bild von diesem Beruf, und man wird schnell in eine Schublade gesteckt, was ich sehr schade finde. Ich habe gelernt, mit diesen Anfeindungen umzugehen, da ich zu 100 % hinter dem stehe, was ich mache. Es ist mein Leben und nicht das der anderen.
Wie würden Sie Ihre Kunden beschreiben? Wer kommt zu Ihnen?
Der 18-jährige Unerfahrene, der noch keine sexuellen Erfahrungen gemacht hat, genauso wie der 65-jährige Rentner, der seine Zeit allein zuhause etwas angenehmer gestalten möchte. Jedes Alter ist vertreten. Doch ich würde schätzen, die meisten bei mir sind zwischen 20 und 40 Jahre alt.
Haben Sie feste Kunden?
Ja, ich habe bereits einige Stammkunden, die regelmäßig in die Cam kommen, allerdings auch immer wechselnde User.
Sie haben es in recht kurzer Zeit zu einiger Bekanntheit geschafft. Wie baut man sich einen Fanclub auf?
Es ist sehr wichtig, präsent zu sein, gerade anfangs oft in die Cam zu gehen und regelmäßig neue Videos hochzuladen. Ich bemühe mich sehr auf die Wünsche der User einzugehen. Auch auf den sozialen Netzwerken bin ich sehr aktiv. Meine User freuen sich, dort private Einblicke von mir zu bekommen. Wichtig war mir von Anfang an, authentisch zu sein. Ich bin ehrlich, sage auch mal nein, wenn ich etwas z. B. in der Cam nicht zeigen möchte, ich verstelle mich nicht, bin einfach so, wie ich bin. Das wissen viele zu schätzen.
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Das vollständige Interview lesen Sie in Séparée No.25.
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