Ute Cohen traf die Schauspielerinnen Iris Boss (l.) und Birge Schade (r.) zum pikanten Austausch über mangelnde Erotik im deutschen Fernsehen, Frauen über 40 und eindimensionale Frauenbilder – auf dem Holztisch in Birge Schades Rosengarten eine Schale mit Erdbeeren, frisch gebrühter Kaffee und Iris Boss’ Luckies.
Interview: Ute Cohen
Foto: Ute Cohen
Ute Cohen: Frau Schade, Frau Boss, erinnern Sie sich an die erste erotische Szene, die Sie im Fernsehen oder im Kino gesehen haben?
Birge Schade: Oh, ja! Das war „Nachtblende“ mit Romy Schneider. Ich war siebzehn und vollkommen geflashed. Diese Menage à trois fand ich schon sehr aufregend. Es gab zwar keine expliziten Szenen, aber doch einige sehr erotische Momente.
Iris Boss: „Belle de jour“ im Französischunterricht. Was haben wir uns alle über die Lehrer aufgeregt, dass wir einen Porno anschauen müssen! Wir waren schon ziemlich verklemmt als Schüler, aber als prickelnd hab’ ich den Film auf jeden Fall empfunden. Die Szene, in der Catherine Deneuve an den Baum gefesselt ist, das Doppelleben. Es war so ein Dazwischen, ein Gefühl zwischen Abstoßung und Anziehung.
UC: Das sind beides Kinofilme und französisch noch dazu.
BS: Im deutschen Fernsehen gab’s ja kaum Erotik. Tatort fällt mir ein, die Reifeprüfung mit Nastassja Kinski, das klassische Muster natürlich: alter Mann, junges Mädchen. Ach, doch Klimbim! Elisabeth Volkmann und Ingrid Steeger waren schon sehr sexy. Das habe ich auch als 12-jährige schon so gesehen. Allerdings würde ich diese Art von Sketches nicht als erotisch bezeichnen.
IB: Der „Schulmädchenreport“, das war aber eher albern als sexy.
UC: Immerhin kam Sex noch vor im Fernsehen. Heute hat man den Eindruck, als wäre die „Enterotisierung“ voll im Gange.
IB: Deutsches Fernsehen ist tatsächlich fast nicht erotisch. Wenn es erotisch ist, dann nur in kommentierter Form, mit Wertungen. Fast wie Schul-TV: Eine Frau lebt ihre Sexualität, folglich hat sie ein Problem mit Nähe. Der ganze Ansatz ist didaktisch.
BS: Das stimmt schon, dass Frauen heute in gewisser Weise als enterotisierte Wesen erscheinen. Allerdings bin ich auch froh, dass es diese Sexfilmchen nicht mehr gibt, wo Frauen abgewertet wurden. Wenn überhaupt, dann kommen sie im Genre vor, dem Erotikthriller. Filme wie „Die flambierte Frau“ mit Gudrun Landgrebe gibt es kaum mehr. Die gefährliche Frau ist vielleicht auch nicht so ein deutsches Thema.
IB: Stark und Erotik scheint überhaupt ein Gegensatz im deutschen Film zu sein. Die Serie „Bad Banks“ zum Beispiel: Da gibt es zwar starke Business-Frauen, allerdings mit einer aggressiven Sexualität. Das ist nicht wirklich emanzipiert, sondern spiegelt lediglich eine männliche Welt, eine männliche Aggressivität. Das hat nichts mit Lust, mit Leichtigkeit zu tun. Das hat nichts Spielerisches.
UC: Ist das nicht ein Rückschlag? In den Siebzigern, Achtzigern gab es auch weibliche Regisseurinnen, die Sexualität thematisierten. Liliana Cavani zum Beispiel: Der Nachtportier. Da wurden Tabus eingerissen. Heute scheint es eher ein Therapiethema zu sein.
BS: Klar, das war aber auch kein deutscher Film. Für deutsche Regisseure ist Erotik kein Thema. Selbst im freieren Kino nicht. Vielleicht auch, weil es viele Debutfilme gibt. Die haben ein anderes Thema, nicht die Erotik der Frau ab vierzig. Zudem sind die meisten Regisseure Männer. „Wolke 9“ ist ein Film über Sex im Alter, aber hat man da Lust, hinzuschauen? Es gibt da einen gnadenlosen Blick auf die welkenden Körper, dabei könnte man auch alte Körper irgendwie „lecker“ inszenieren.
IS: Das ist schon sehr deutsch, Erotik an ein Thema zu koppeln. Im französischen Film ist es nicht relevant, ob eine Frau Kinder hat, verheiratet ist. Das hängt wohl mit der Sozialisierung, der Erziehung zusammen. Erotik schwingt in französischen Filmen einfach mit, auch in solchen, die nicht explizit erotisch sind.
BS: Das scheint man einfach zu vergessen, dass Frauen über fünfzig auch ein Sexualleben haben. Es muss doch nicht immer alles problematisiert werden: ‚Oh, guck mal. Jetzt ist die schon so alt und hat immer noch Sex! Womöglich stirbt sie noch dabei!’. Entweder eine Sexszene ist verquer oder lustig. Bemerkenswert ist, dass Sex auch für Regisseurinnen kein Thema ist. Das liegt sicher daran, dass Frauen oftmals sehr kritisch auf sich selber schauen. Sie wollen das nicht sehen, weil sie sich selbst nicht begehrenswert, im Aus fühlen.
IB: Dabei sollten doch gerade Regisseurinnen die Chance nutzen, sich mit Sexualität auseinanderzusetzen, nicht nur unter selbstzerstörerischen Gesichtspunkten. Warum setzen sich Männer nicht mit ihrer Angst vor Frauen auseinander? Warum nutzen Menschen, die Kunst machen, ihre Chance nicht, mehr als einen vorgefertigten Blick zu reproduzieren?
UC: Vielleicht versucht die Branche nach #MeToo politisch überkorrekt zu sein?
IB: #MeToo ist ja auch eine Kampagne, die nicht dazu dient, Frauen zu unterstützen, ihre Sexualität zu leben, sondern Frauen vor ungewollter Sexualität zu schützen, polemisch gesprochen.
BS: Uh, da machen wir ein anderes Fass auf. #MeToo muss man definitiv von Erotik trennen. Es geht ganz klar um Machtmissbrauch.
UC: Man muss eben unterscheiden zwischen Schutz vor sexueller Gewalt und Förderung sexueller Selbstbestimmung. Das wird ja auch in der Stokowski-Flaßpöhler-Debatte vermengt.
IB: Genau. Eine Gefahr sehe ich bei #MeToo lediglich darin, dass Sexualität per se als etwas Böses empfunden werden könnte. Man muss auch den Gegenpol, die frei gelebte weibliche Sexualität zeigen.
UC: Trauen sich Regisseure noch, sexuelle Themen in ihrer Ambivalenz umzusetzen?
BS: Das kann man noch nicht sagen. Filme haben eine lange Vorlaufzeit. Sicher wäre es an der Zeit, das Thema mal umzusetzen. Das Problem ist aber, dass da immer eine Schere im Kopf ist. Die beteiligten Sender sagen sich: Unter welchem Label vermarkten wir das? Wann senden wir das?
UC: Gerade das Fernsehen könnte doch Frauen helfen, eine selbstbewusste Sexualität zu entwickeln. Folgende Szene zum Beispiel: Eine Frau bläst einem Regisseur, der ihr im Bademantel die Tür öffnet, ordentlich den Marsch.
BS: Den Marsch und nicht … (sie lacht)
IB: Nicht ganz so didaktisch vielleicht. Das muss einfach passieren. Wir brauchen Vorbilder, nicht wie in „Kill Bill“ eine Frau, die Männer kaputt macht, ganz einfach Frauen, die zeigen, dass es normal ist, dass man sich entscheiden, nein sagen kann.
BS: Die Szene müsste man in die Gesamthandlung einbetten. Interessanter sind doch die subtilen Machtmissbräuche, die man nicht so genau definieren kann, wo man sich nicht wohl fühlt. Ihr wisst, was ich meine? Selten sind Männer ja so plump und sagen: ‚Pass mal auf, mir geht’s nicht so gut. Kannste mir vielleicht mal den Nacken massieren?‘ Aus der Chose rauszukommen, ist schwierig. Du gehst vielleicht und denkst, wär’ ich doch mal netter gewesen! Der Missbrauch wird einem erst später klar.
IB: Das liegt auch daran, dass uns eingeflüstert wird: Wenn du’s zu was bringen willst, musst du alles geben, in diesem Post-Post-Post-Kapitalismus. Ganz unabhängig vom Männer-Frauen-Thema. Wenn du’s nicht tust, bist du irgendwo als Mensch gescheitert. Das sitzt tief in uns drin. Machtmissbräuche gibt es schließlich auch durch Frauen, nicht sexuell, meine ich, da wird einfach Druck ausgeübt. Man kann nur sagen, nein, ich verzichte oder ich tu’s.
BS: Ist ja auch nichts dagegen zu sagen, wenn man Spaß dabei hat, einem einen zu blasen. Und wenn’s dann heißt: Jetzt hat die mir fünf Mal so schön einen geblasen, jetzt kriegt sie auch ’ne Rolle. So what?
UC: Unangenehm ist nur, dass Sex im Film entweder instrumentalisiert oder romantisch verklärt wird. Das sind ziemlich eindimensionale Frauenbilder.
IB: Ja, es geht doch um lebendige Figuren. Die sind eben nicht nur böse oder gut. Da gibt’s Kuschelerotik oder … ganz vieles, nicht nur Abziehbilder.
BS: Erotik ist kompliziert und sehr individuell. Das macht die Darstellung nicht einfacher. Tabus und Zensur dürfen nicht sein, allerdings muss ich mich nach der Funktion einer erotischen Szene fragen. Was will ich damit erzählen? Wir wollen Frauen als lebendige Wesen, nicht nur als Mütterlein, als frustrierte Businessfrau. Man rüttelt im Fernsehen aber nicht gern an bestimmten Bildern. Verheiratet und beruflich erfolgreich sein darf man, aber wenn man dann noch eine abgründige Erotik hat, das alles zusammen geht gar nicht. Wenn sich Frauen nehmen, was sie wollen, dann wirkt das immer leicht verzweifelt, bei Tatort-Kommissarinnen zum Beispiel. Männerfiguren hingegen haben Kind und Kegel und ’ne Top-Geliebte. Come on!
UC: Der Regisseur Paul Verhoeven sagte mal, lediglich Isabelle Huppert habe die Hauptrolle in seinem Film „Elle“ spielen wollen. Sind amerikanische oder deutsche Schauspielerinnen prüder als französische?
IB: Nicht die Schauspielerinnen sind prüder, sondern das Business. Wenn du eine provokative, sexuell freizügige oder verquere Rolle spielst, Birge, dann kriegst du vielleicht keine Rolle im Traumschiff, oder?
BS: Paul Verhoeven hat mich leider nicht gefragt! (lacht) In Hollywood ist das aber sicher anders. Sharon Stone hat sich Zeit ihres Lebens nicht von diesem „Basic Instinct“-Image befreit, obwohl das schon eine tolle Rolle war: Diese ganz tiefliegende Männerangst, diese Frau, die dich im Moment größter Hilflosigkeit umbringt.
IB: Es heißt ja, wenn Brust zu sehen ist, dann wird der Wert einer Schauspielerin sofort gemindert.
BS: Ach, wusste ich gar nicht. Na guck mal, dann bin ja eh durch. (lacht)
IB: Es herrscht eine tiefsitzende Angst bei Schauspielerinnen, dass sie als weibliches Sehnsuchtsobjekt nicht mehr funktionieren, wenn sie nackt auftreten.
BS: Das kommt auf den Kontext an. Wird die Szene einfach nur reingeschrieben, reagier ich allergisch: Ach, nö, Leute. Den letzten Film mit einer überzeugenden erotischen Szene hab’ ich übrigens 2001 gesehen, mit Kerry Fox, die damals 34 war. 34! Was wurde da nicht alles thematisiert. Oh, ihre Oberschenkel, ihre Bauchfältchen! Ich war wahnsinnig genervt, dass das darauf reduziert wurde. Heute gibt’s solche Filme gar nicht mehr.
IB: In deutschen Filmen geht’s ja auch ziemlich verschämt zu. Man steht auf, zieht sich die Bettdecke um die Brust. So werden die Szenen geschrieben …
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