Una G. muss mal dringend

Kürzlich war ich in der Oper. Allererste Adresse der Stadt. In der Pause stürmten die Damen auf die Toilette, als gäbe es La Perla Unterwäsche im Ausverkauf.

Text: Séparée

Von diesem ureigenen Bedürfnis des Menschen könnte ich viele Geschichten erzählen. Zum Beispiel die von der Wassermelone, einem vollbesetzten Linienbus und einer buckligen Urwaldpiste in Südamerika. Ich habe bis heute eine Narbe auf dem linken Handrücken von einer widerspenstigen Giftpflanze, an der ich beim Versuch hängen geblieben bin, mich vor der gaffenden Busmeute im Dickicht zu verstecken. Oder die von der unappetitlichen Toilette im Nachtzug von Mittel- nach Osteuropa oder die vom öffentlichen Toilettenhäuschen, das keine Sekunde zu früh aus dem Pariser Pflaster materialisierte und meinem Schutzengel, der mir einen Franc in die Rocktasche gelegt hatte, der in den Geldschlitz passte, wie die Faust aufs Auge.

Kürzlich aber war ich in der Oper. Allererste Adresse der Stadt. In der Pause stürmten die Damen auf die Toilette, als gäbe es La Perla Unterwäsche im Ausverkauf. Ich hinterher. Nicht, weil ich ein Sonderangebot vermutete oder aus Hordenzwang. Ich musste und zwar sehr dringend. Vermutlich war’s der Sekt, den wir vorher auf einen vergnüglichen Abend gelehrt hatten. Die Schlange, auf die ich traf – das ist der Nachteil von teuren Plätzen Parkett Mitte vorn – war entmutigend lang. Was tun? Wenn der Teufel in der Not Fliegen frisst, geht Frau aufs Herrenklo. Da gibt es nie La Perla Unterwäsche im Ausverkauf. Da niemand zu sehen war, ging ich ohne nach links und rechts zu schauen zielstrebig rein. Wenn’s drückt, drückt es. Wer schon einmal auf einer Herrentoilette war, weiß, dass man manchmal erst nach der Kabine für die großen Geschäfte suchen muss, denn Pissoir geht wirklich schlecht. Schon rein anatomisch. Zumindest ohne Hocker, und selbst dann nicht ohne größere Schweinerei und Peinlichkeit, falls doch jemand kommt. Aber die diskrete Örtlichkeit war schnell gefunden. Welche Erleichterung. Doch dann kam, was kommen musste: Ein Mann! Und dann noch einer und noch einer. Offenbar hatte sich unter den männlichen Operngästen herumgesprochen, dass es hier Freibier gab. Vor dem Klo bildete sich schnell eine Schlange. Mürrisches Gebrumm mischte sich mit spitzen Witzeleien, was der Kerl da drinnen wohl treibe. Warum glauben die Leute eigentlich, dass man sie nicht hört, nur weil sie einen nicht sehen? Ich saß in der Falle oder vielmehr in der Mitte eines Teufelskreises. Je länger ich zögerte, um so länger wurde die Schlange, desto peinlicher mein Entkommen. Ich wägte die Alternativen ab: Gesichtsverlust und Gespött der Männerwelt oder Ausharren, bis die Vorstellung wieder anfing. Mit etwas Glück würden die echten Opernfans die A-Backen zusammenkneifen. Für die anderen gab es die Pissoirs. Aber was, wenn ein echter Pisser – ich meine das jetzt im übertragenen Sinne – dabei war, der die Hausverwaltung holte, die mich unter Androhung lebenslangen Hausverbots aus dem Örtchen abführen ließ. Was wurde dann aus meinem Opern-Abo? Ich denke nämlich üblicherweise sehr wirtschaftlich. Mein Herz klopfte ungut. Das einzig Positive an meiner gegenwärtigen Misere war: Ich musste nicht mehr im Gegensatz zu den Anderen, die von einem Bein auf das andere traten. Das erste Klingeln riss mich aus meinen Panikgedanken. Der rationale Teil meines Gehirns übernahm freundlicherweise wieder die Denkarbeit und legte den Panikschalter um auf „pragmatisch“. Meine Hand bewegte sich automatisch Richtung Klinke, drehte an der Verriegelung und drückte die Tür auf. Meine Lippen formten ein beschwingtes „Der Nächste Bitte“, während sie sich gleich darauf zu einem hinreißenden Lächeln á la Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“ verzogen. Ich verließ den Raum so zielstrebig, wie ich gekommen war, nachdem ich mir noch kurz, bevor einer der Herren überhaupt einen Ton von sich geben konnte, ordentlich die Hände gewaschen hatte, wie es sich für ein wohlerzogenes Mädchen gehört. Zehn sprachlose Männer drehten sich wie fremdgesteuert nach mir um und starrten vermutlich noch eine Weile auf die Tür, die mit einem sanften Klick hinter mir ins Schloss fiel. Da läutete es zum zweiten Mal. Ich für meinen Teil war pünktlich an meinem Platz. Der Sitz neben mir blieb frei. Erst einige Minuten nach Beginn des 2. Aktes kam noch ein Herr. Ich hasse es, wenn Leute im Theater zu spät kommen.

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