Und wie erklärt ihr das eurem Kind?

Von der Vereinbarkeit von Polyamorie und Familie

Mein Mann und ich haben vor kurzem unseren sechsten Hochzeits- und zwölften Jahrestag gefeiert. Den einen Tag haben wir zu zweit, den anderen mit unserer Tochter verbracht. Am Wochenende darauf hatten wir beide jeweils Dates. Er traf seine neue Flamme, ich meinen Liebhaber. Was nach Fremdgehen klingt, ist es nicht. Wir leben polyamorös.

 

Text: Ava Weis
Foto: © Robert Kneschke – Fotolia.com

In Bezug auf Polyamorie existieren viele Vorurteile. Sei es, dass es nur eine Ausrede zum Betrügen sei, man jede Woche zig neue Partner*innen habe oder täglich wilde Orgien feiere. Solange alle Beteiligten unverheiratet und kinderlos sind, wird es immerhin oft großzügig als Phase akzeptiert, die bestimmt bald wieder vorbei sein wird.

Wenn mein Mann und ich anfangs erzählten, dass wir auch als Eheleute mit Kind weiterhin polyamorös leben, ernteten wir irritierte Blicke. Nicht nur, dass viele Menschen Polyamorie immer noch mit Polygamie, also der Viel-Ehe, verwechseln. Sie gehen auch davon aus, dass man als Eltern monogam leben sollte. Und hetero! Wir sind allerdings beides nicht.

Polyamorie an sich bedeutet erst einmal nur, dass der Mensch eben nicht monogam lebt und in der Lage ist, mehr als einen Menschen zu lieben. Ob es auch eine sexuelle Komponente gibt und wie die Beziehungen an sich ausgelebt werden, ist von Mensch zu Mensch und von Beziehung zu Beziehung unterschiedlich. Es gibt polyamoröse Paare, bei denen es außerhalb der Hauptbeziehung ausschließlich Sex-Kontakte gibt, bei anderen sind auch Liebesbeziehungen in Ordnung. Wieder andere haben zu mehreren sogar Kinder und teilen sich die Erziehung sowie Care-Arbeit. Oder sie leben direkt in einer WG oder Kommune. Den Partnerschaftsformen sind hier keine Grenzen gesetzt.

Mein Mann und ich haben als Schulfreunde angefangen, um einige Zeit nach dem Abitur festzustellen, dass wir uns mehr als nur mögen. Wir begannen eine monogame Beziehung, die auch mehrere Monate so funktionierte. Bis ich, wie schon bei jeder*m Partner*in davor feststellte, dass ich nicht „treu“ sein kann. Und will. Wir probierten also eine offene Beziehung, in der wir uns einen Katalog an Regeln ausdachten, um ja nichts „falsch“ zu machen. So durften wir nur mit vollkommen fremden Menschen schlafen, also nicht im Freundeskreis rumvögeln, dazu auch jeweils nur mit dem anderen Geschlecht, ebenso nur nach vorheriger Erlaubnis und natürlich nur mit Kondom. Wir hielten uns an keine einzige dieser Regeln, was, gelinde gesagt, bescheuert war. Doch es gibt nichts Reizvolleres als das Verbotene. Wir ignorierten unsere Abmachungen, wir sprachen nicht darüber, wir betrogen uns schließlich.

Im Allgemeinen aber basiert eine Beziehung, ob poly- oder monogam, auf Vertrauen. Das wichtigste Werkzeug dafür ist gute Kommunikation, wobei Zuhören meist wichtiger ist als Reden. Letzteres sollte man allerdings auch tun, wenn etwas stört.

Mein Mann und ich haben in den ersten Jahren unserer Beziehung vieles ignoriert, was uns nicht gefiel. Stattdessen haben wir die Grenzen des Anderen getestet und ausgereizt, als wären wir erneut rebellische 14. Als wir feststellten, dass wir uns auf diese Weise verlieren würden, schlossen wir die Beziehung wieder, heirateten sogar. Wir versuchten eine Familie zu gründen, was lange daran scheiterte, dass ich eine chronische Erkrankung habe, die mich unfruchtbar machte. Als ich wider Erwarten plötzlich doch schwanger wurde und schließlich unsere Tochter auf die Welt kam, dachten wir lange Zeit nicht über Sex oder anderweitige Beziehungen nach. Unsere gesamte Energie galt dem Kind.

Wir bemerkten aber, dass wir immer unzufriedener und unglücklicher wurden. Dies allein auf Schlafmangel und Stress zu schieben, gelang uns irgendwann nicht mehr. Uns fehlte nicht nur der Sex, uns fehlte mehr. Liebe zueinander war es nicht, das wussten wir. Aber wir kannten uns so lange, dass die Anziehung und die Sehnsucht einfach fehlten. Wir waren ausgelaugt und ich stand kurz davor, ihn zu betrügen, nur um wieder etwas anderes als Erschöpfung zu fühlen.

Anstatt dies zu tun, suchte ich jedoch das Gespräch. Ich sprach meine Sehnsüchte, meine Ängste und meinen Unmut an. Ich wollte unsere Ehe und Familie nicht aufs Spiel setzen, aber auch nicht weiter machen wie bisher. Nach einigen erforderlichen Bedenkzeiten entschieden wir uns schließlich dafür, die Beziehung wieder zu öffnen. Mehr noch: Wir gaben ihr keine Grenzen. Wir akzeptierten, dass wir von anderen Menschen eventuell mehr als nur Sex wollen und uns verlieben könn(t)en. Gefühle können nicht kontrolliert werden und müssen es auch nicht.

 
 

Den vollständigen Artikel lesen Sie in Séparée No.21.

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