Hinter verschlossenen Türen

In seinem Buch „Private Pornography in the Third Reich“ wirft der Goliath-Verlag einen Blick hinter die Kulissen einer Zeit, in der man seine Sexualität lieber im Verborgenen auslebte, wenn man nicht zu den Machthabern gehörte.

Text: Jona Rahel Armborst
Fotos: analogicus/pixabay, by-studio/stock.adobe.com

Auszug aus dem Vorwort:

Orgien auf dem Obersalzberg, Exzesse in den Büros von SA und NSDAP, Pornoproduktionen zur Beschaffung von Devisen. Schummrige Salons im Dienste der Gestapo, in denen Diplomaten und Generäle zwischen den Schenkeln linientreuer Kurtisanen Staatsgeheimnisse in die seidenen Kissen stöhnten, während das deutsche Volk unter der Knute von Überwachung und Repression der Lust entsagte. Sah so die deutsche Sexualität zwischen den Jahren 1933 und 1945 aus? Wohl kaum. Manchmal wecken besonders dunkle Zeiten eben besonders schmutzige Fantasien. Indes: Die Wahrheit ist wesentlich profaner.

Bigotterie und Heuchlerei prägen die Sexualität in der Zeit des braunen Terrors: So gibt Propagandaminister Joseph Goebbels nach außen den treusorgenden Vater von sechs Kindern und den liebenden Ehemann seiner Frau Magda, ist aber ein berüchtigter Schürzenjäger, den man im Volksmund den „Bock von Babelsberg“ nennt. Er selbst sagte, er sei gegen pfäffisches Muckertum und habe nichts gegen eine gesunde Sinnlichkeit. Als oberstem Verantwortlichen der nationalsozialistischen Medienindustrie unterstehen ihm auch die UFA-Filmproduktionsstätten in Potsdam-Babelsberg. Viele Flüsterwitze aus dieser Zeit verdeutlichen, dass Goebbels, von kleinwüchsiger Gestalt und mit einen Klumpfuß ausgestattet, nicht gerade ein Adonis war. „Lieber Gott, mach mich blind, dass ich Goebbels arisch find.“ Wohl nur aufgrund seiner nahezu uneingeschränkten Macht gelingt es ihm, viele Schauspielerinnen in sein Bett zu zwingen. Als er schließlich in Liebe zur tschechischen Schauspielerin Lída Baarová entbrennt und sich von seiner arischen Musterfamilie trennen will, interveniert Hitler auf Betreiben von Magda Goebbels persönlich und beendet die Affäre.

Hitler selbst sieht in der deutschen Frau vor allem eine deutsche Mutter. Ihre traditionelle Rolle wird während des nationalsozialistischen Regimes systematisch verherrlicht und propagandistisch aufgewertet. „Die wunderbarste Aufgabe, die eine Frau erfüllen kann, ist die, ihrem Volk Kinder zu schenken“ – diese Doktrin wird durch finanzielle Förderprogramme eifrig unterstützt, aber auch durch die Verleihung von Orden an Frauen mit ,,überdurchschnittlicher Gebärleistung“. So gibt es das Mutterkreuz in Gold für Mütter mit acht und mehr Kindern. All dies geschieht unter den verqueren rassebiologischen Gesichtspunkten der NS-Ideologie.

Wenig anfangen mit dem traditionellen Familienbild kann wiederum der Reichsführer SS Heinrich Himmler, der Hitler gegenüber zugunsten höherer Geburtenzahlen sogar die Bigamie befürwortet und einen SS-internen Befehl zur Zeugung unehelicher Kinder erlässt, die höchsten arischen Ansprüchen genügen sollen. Doch es bleibt bei dieser inoffiziellen Anordnung: die Angst, die vorherrschende Sexualmoral der deutschen Bevölkerung zu verletzen, ist zu groß. So blühen viele der menschenverachtenden Zuchtideen Himmlers im Verborgenen – und sexuelle Freizügigkeit bleibt ein Privileg der SS-Elite, während für das Volk Zucht und Ordnung gelten.

Das älteste Gewerbe der Welt gehörte in all seinen Erscheinungsformen im Weimarer Berlin zum gewöhnlichen Straßenbild. Bis zu 120.000 Frauen und 35.000 Männer arbeiteten bis 1933 als Prostitutierte – es gab nichts, was es nicht gab. Dieser bunten und dekadenten Vielfalt bereiteten die Nazis umgehend ein Ende. Aus der Duldung in einigen Metropolen wurde eine strikte und gnadenlose Verfolgung, denn Prostitution widersprach der Nazi-Politik der „reinen Rasse“ und galt als „Brutstätte der Perversion“. Natürlich hielt dies die Machthaber nicht davon ab, selbst Bordelle unter ihrer Kontrolle zu führen, in denen Frauen, die als „undeutsch“ galten, gezwungen wurden, als Huren zu arbeiten. Auch in einigen Konzentrationslagern wurden Bordelle geführt. Desweiteren wurden Frauen zur „Stärkung der Moral“ für die Wehrmacht zwangsverpflichtet. Infizierten sie sich mit einer Geschlechtskranktheit, drohte ihnen die sofortige Ermordung.

Welche Folgen der Nazi-Terror auf die sexuelle Freizügigkeit hatte, illustriert besonders der Umgang mit Homosexualität: Wenige Wochen nach der Machtergreifung 1933 schlossen und plünderten die Nazis das 1919 in Berlin gegründete Institut des berühmten Sexualforschers Magnus Hirschfeld. Die Partei-Ideologen der NSDAP vertraten die Ansicht, dass Homosexualität inkompatibel mit dem Nationalsozialismus sei, weil Lesben und Schwule sich nicht fortpflanzten und somit an der Reproduktion der „Herrenrasse“ nicht teilnahmen. Genau wie Prostitution wurde Homosexualität bis hin zum Konzentrationslager mit aller Härte bestraft.

Der Besitz pornografischer Bücher, Bilder und Filme war strengstens verboten. Das hinderte die verlogenen Vertreter des Regimes jedoch nicht daran, mit konfiszierten Erotika auf dem internationalen Markt Handel zu treiben, um an Devisen zu gelangen. Doppelte Moral war auch hier das Maß aller Dinge: Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, genehmigte im März 1935 höchstpersönlich den Verkauf von Doubletten aus der beschlagnahmten pornografischen Sammlung des Schriftstellers Eduard Fuchs in Paris.

Das Buch „Private Pornography in the Third Reich“ enthält unzählige Fotos, die während des Dritten Reichs privat aufgenommen oder mit denen gehandelt wurde und die fast alle aus einer Privatsammlung stammen. In unserer Sommerausgabe Séparée No.17 zeigen wir mit freundlicher Genehmigung des Goliath-Verlags einige Aufnahmen aus einer Zeit als pornografische Bilder noch sensationell und dreist, neckisch und provozierend, heiß und – vor allem – verboten waren.

Mehr bei www.goliathbooks.com oder in Séparée No.17.

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