Prähistorisches Schönheitsideal?
Wenn Frau von W. das Schönheitsideal ihrer Zeit verkörperte und ein Sexidol war, hätten sich die Supermodels und Playboy-Bunnys von heute weinend in der nächsten Felshöhle verstecken können. Körbchengröße F, Hängebusen, ausladende Hüften mit einem komfortablen Schwimmring um die Mitte, ein äußerst griffiges Hinterteil, fleischige Oberschenkel und eine Vulva, die die Sittenpolizei von Facebook auf den Plan gerufen hätte. Die Venus von Willendorf ist ein Brummer, ein Hingucker ganz eigener Art, strotzend vor überbordender Weiblichkeit. Ihre Zeit ist lange vorbei und dennoch ist ihre Ausstrahlung und Faszination zeitlos. Sie ist hip, ob als Brettspiel, Tarotkarte, Bastelbogen, Seife oder Leitfigur von Feministinnengruppen.
Die wenigen bekannten archäologischen Fakten zu ihr lassen sich in einen Satz packen: Die etwa 25.000 Jahre alte Frauenstatuette aus der Altsteinzeit wurde am 7. August 1908 bei Ausgrabungen in Willendorf i. d. Wachau (Österreich) gefunden. Alles Weitere ist Spekulation. Wer hat sie geschaffen und zu welchem Zweck? Welche versteckte Botschaft lebt in ihr? Und warum sieht sie so aus, wie sie aussieht? War sie schon zu ihrer Zeit ein Kunstwerk oder „nur“ eine zeitgemäße Form der Selbstdarstellung oder etwas ganz anderes?
Der Katalog der Deutungsmöglichkeiten ist bunt. Ende des 19. Jahrhunderts glaubte Moritz Hoernes, Venusfiguren – Frau von W. erfreute sich einer Vielzahl von „Schwestern“ in vielen Teilen Europas – seien altsteinzeitliche Pin-up-Girls für jagende Männer gewesen. Hugo Obermaier meinte, es handle sich aufgrund der so prominent dargestellten Geschlechtsmerkmale um ein Fruchtbarkeitsidol. Allerdings scheint diese Interpretation am Ende nicht schlüssig, wenn man bedenkt, dass Kinderreichtum in einer Nomadenkultur schnell ein logistischer Nachteil sein konnte und normalgewichtige Frauen in der Regel schneller schwanger werden und unkompliziertere Schwangerschaften haben.
Vielleicht war die Venusfigur auch „nur“ eine prähistorische Barbie? (Womit wir wieder beim Schönheitsideal wären!) In Afrika findet man heute noch ähnliche Puppen, die zu rituellen Zwecken verwendet werden. Ob kleine Steinzeitmädchen damit wirklich Mutter, Vater, Kind gespielt haben, wird auch ein Rätsel bleiben. Gerät die Wissenschaft in ganz große Erklärungsnot, wird aus einem gefundenen Artefakt im Zweifelsfalle schnell ein religiöser Gegenstand. Möglicherweise war Frau von W. ja eine Göttin, zuständig für die Ressorts Jagdglück und/oder Fruchtbarkeit. Oder gar eine Muttergottheit, die Urmutter. Aber vielleicht muss man gar nicht so weit ausholen: Was, wenn sie einfach nur eine ganz normale Frau war, die der Künstler oder die Künstlerin ein wenig überzeichnet hat. Boteros Frauengestalten kommen heute ähnlich üppig daher. Oder ist sie gar ein altsteinzeitliches Selfie mit Augenzwinkern?
Ein Lovetoy?
Es gibt noch eine ganz andere, eine mutige, eine verwegene Deutung. Legt man die Venus auf die Vulva, deckt sie mit ihren Hüften all die Regionen der inneren und speziell der äußeren Venuslippen ab, mit ihrem Bauch dringt sie leicht in den Scheideneingang ein, mit ihrem gelockten Kopf berührt sie genau die Klitoriseichel.Mit nur wenigen Dreh- und Handbewegungen werden so alle 8.000 (!) Nerven der Klitoris gleichzeitig stimuliert.
Die Venus von Willendorf – ein Lovetoy!?! Als Ingrid Mack, Inhaberin des „Liebenswert“, 2008 das erste Mal das Original im Naturhistorischen Museum in Wien sah, war sie von ihrer Präzision und Schönheit verzaubert und tief berührt. Lange ließ ihr die Figur keine Ruhe, bis für sie klar war: „Sie ist eine Liebesgöttin, eine ‚Femme Fatal’. Die Weiblichkeit in ihren Rundungen – das ist ihre Botschaft an uns, die wir heute dem Schlankheitswahn als Ideal huldigen. Ihre Formen so präzise im Detail – und dennoch nicht real. Sie passen perfekt in die weiblichen Genitalien; sie passt sich genau ein und an. Mit all ihren Rundungen hat sie (heute) nur eines zum Zweck: Frauen zu beglücken.“
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Ingrid Mack überzeugte ihren jährigen Geschäftsfreund und Inhaber von Fun Factory in Bremen, ihr die von ihr designte Venus aus medizinischem Silikon herzustellen. Einige Monate später hielt sie die erste Form in Händen – etwas runder, etwas kleiner als das Original – damit sie noch perfekter in die Vulven der Frauen des 21. Jahrhunderts passt. Versehen mit einem Minivibrator, der ihre wohlgeformten Hüften, ihren weiblichen Körper zum Schwingen bringt und ihre Benutzerin zum ganzheitlichen, klitoralen Höhepunkt. „Mit der Venus kann ich Frauen die Klitoris mit all ihren Nervensträngen, mit all ihren phantastischen, versteckten Wirkungen erklären, erkunden und entdecken lernen“, so Ingrid Mack, die ausgebildete Dipl.-Sexualpädagogin.
Wenn in 25.000 Jahren jemand eine „Venus von Liebenswert“ findet, werden die alten Fragen wieder auftauchen. Wozu wurde sie erschaffen? Was ist ihre Botschaft an uns? Wir kennen die Antwort.
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