Mach es mit Gott!

Eine kulturphilosophische Abhandlung zu göttlicher Innerlichkeit und sexueller Passion.

Die gebürtige Wuppertalerin promovierte 2006 an der Berliner Humboldt-Uni in Kulturwissenschaft. In ihrer Doktorarbeit beschäftigte sie sich mit mittelalterlicher Frauenmystik. Derzeit arbeitet sie als Lehrbeauftragte an ihrer Alma Mater. Daneben schreibt sie Romane, in die ihr wissenschaftliches Interesse Eingang findet.

 

Text: Stefanie Rinke
Fotos: Giovanni Lorenzo Bernini “Beata Ludovica Albertoni” (1671) und “Die Verzückung der Heiligen Theresa” (um 1650)

„Wo bleibt das Glockengeläut, wann erklingen die Engelchöre?“, fragte ich mich nach dem berühmten ersten Mal. Ich hatte damals alles gut vorbereitet, fast schon zu gut. Seit drei Monaten waren wir zusammen, er war mein erster richtiger Freund und brachte die Geduld mit, es nach meinem Rhythmus einzutüten. Und ich ließ es langsam angehen. Das hieß, sich zentimeterweise vorzuarbeiten. Ich sehnte mich nach etwas Außergewöhnlichem. Es war naiv. Was erwartete ich, das Eintreten eines magischen Moments, wie ich ihn schon häufig in Liebesfilmen so schön inszeniert gesehen hatte? Oder einen Automatismus der Lust, da musste doch irgendwo der Schalter sein, den es einfach nur umzulegen galt, der Schalter zur Erleuchtung, zum göttlichen Eins-Werden? Jemand hat mir später einmal erzählt, etwas Ähnliches während der Konfirmation erwartet zu haben: Ergriffen-Werden von einem erhabenen Schauer, Zugehörig-Sein zu einem höheren Prinzip. Aber nein, nichts dergleichen setzte ein. Es offenbarte sich mir lediglich die Erkenntnis, wie roh, wie unbearbeitet dieses Gebiet noch war. Es sollte noch eine Zeit dauern, bis es endlich richtig klappte mit dem Körper und der Liebe, der göttlichen Liebe. Damals aber war der Anspruch geboren, es nicht unter einem „Akt mit Gott“ zu machen, also die fleischliche Lust durch eine spirituelle Größe zu erhöhen und zu krönen, sexuelle Passion und Innerlichkeit miteinander zu verschalten.

Neulich nun hat sich etwas in dieser Richtung ereignet. Ich hatte in einer Online-Partnervermittlung einen Mann kennen gelernt. Er zeigte mir seine Sexspielzeugsammlung: Dildos in allen Größen und Varianten. Er stand auf Rollenspiele und Verbalerotik und eröffnete mir, mich fesseln und meinen Körper durch leichte Schmerzen stimulieren zu wollen. Ein Typ also, der Praktiken aus der S/M-Szene anwandte. Ich überwand meine anfängliche Scham und ließ mich auf ihn ein. Wir probierten vieles aus. Und dann geschah etwas. Ich saß auf einem Barhocker, hatte die Füße auf einen Tisch gestellt, und die Handgelenke waren in Lederschlaufen fixiert, die von der Decke hingen, so dass mein Bewegungsspielraum stark einschränkt war. Er stand zwischen meinen gespreizten Schenkeln und stieß meine heiße Spalte. Ich flehte ihn an: „Stoß meine Muschi fester, stoß mich richtig, ich will es jetzt richtig haben.“ Das tat er dann auch. Und mit einem Mal setzte ein Automatismus ein. Meine Arme streckten sich selbsttätig, ohne dass ich willentlich involviert war, ganz nach oben gen Decke aus. Mein Kopf fiel in den Nacken, und der Atem floss in einen Klang hinein so heftig, dass es schon eher ein Schreien war – ein äußerster Punkt der Dehnung war erreicht. Auf diesem Höhepunkt der Lust setzte eine neue Wahrnehmungsweise ein. Ich konnte mich von außen betrachten, nicht etwa mit offenen Augen, sondern anhand eines geistigen Blicks. Ich flog in Gedanken von außen an mir vorbei und sah, wie mein Körper diese äußerst gespannte und gleichzeitig verzerrte Körperfigur bildete, etwa wie sich meine Finger in dieser nach oben gestreckten Stellung leicht verdreht und verkrampft hatten.

Unmittelbar auf diesen Höhepunkt folgte dann eine völlige Erschlaffung. Ich schaute mir zu, wie ich Glied für Glied entspannte. Mein Kopf knickte ab und fiel auf den oberen Rand der Lehne, mein Oberkörper fiel nach hinten gegen die Rückenlehne des Hockers, mein Mund wurde formlos, die Beine klappten beiseite und die Füße knickten in den hohen Schuhen um. Ich war wie an die Wand genagelt, hing völlig ermattet da und genoss diese hochgradig entspannte Position, in die ich gesunken war. Auch hier sah ich mich immer noch selbst von außen, wie ich – gleichsam in den Sitz geklatscht – dort hing, ohnmächtig. Wie verdreht mein Bein und mein Fuß waren, wie aufgeladen und gleichzeitig ermattet mein Körper aussah! So hatte die Vision etwa eine Minute gedauert. Lange konnte ich danach noch die Konzentration halten, ohne mich anstrengen zu müssen. Ich mochte gar nicht mehr raus aus der Schau, so extrem gelöst fühlte sich alles an. Ich hatte eine Art Körper-Koma erreicht, ohne dabei das Bewusstsein zu verlieren.

Eine göttliche Kraft hatte sich als eine dritte Größe zwischen meinen Liebhaber und mich gesellt – eine ménage à trois sozusagen. Wobei sich diese Kraft in mir wesentlich stärker manifestierte als in ihm, so als würde sie mit meinem Körper spielen oder mit ihm tanzen. Doch auch mein Geliebter war durch Empathie mit ihr, oder besser gesagt, mit diesem Höchsten verbunden. Denn ich würde sagen, dass es sich um ihn, um den Geist Gottes handelte. Das ist nicht blasphemisch, auch wenn es so klingen mag. Denn der christliche Gott ist hierfür ein idealer Partner. Er ist schon immer ein Menschen- und Frauenliebhaber gewesen, denn er hat sich den vermeintlich Schwachen zugewandt. Zunächst ist da der Glaubenssatz, dass alle Menschen vor Gott gleich sind. Egal ob Frauen oder Sklaven, Kinder oder Alte: Alle haben sie Anteil am und Zugang zum göttlichen Geist – darauf basieren übrigens die heutigen Menschenrechte. Darüber hinaus wird im Christentum der Körper durch die Lehre der Inkarnation mit dem Logos gleichwertig auf eine Stufe gestellt. Gott ist ganz Geist und ganz Mensch, was eine Aufwertung des Leibes mit sich brachte und ihn zum Ort der Gottesbegegnung machte. Man denke etwa an das Pfingstwunder, bei dem der göttliche Geist die Apostel ergriff, sie berauschte und sie mit enormen Sprach- und Erkenntnisfähigkeiten beschenkte. Vor allem aber hatte sich Gott an eine Frau, nämlich an Maria, gewandt und sie zur Übermittlerin seines Wortes, seines geistigen Strömens und Fließens im Diesseits gemacht. Im Mittelalter stellten sich viele vor, sie hätte während der Verkündigung in ihrem Zimmer gesessen und in einem Buch gelesen. Das Buch soll die Bibel gewesen sein. Nicht irgendeine Textstelle, sondern Lukas 1, 26-38, der Abschnitt also, der sie und die Verkündigung an sie betraf. Sie las das, was ihr in diesem Moment geschah, hielt das Buch vor sich und sah sich in ihm wie in einem Spiegel. Sie hatte den Worten des Engels Gabriel Glauben geschenkt und war hierfür mit der Erfahrung belohnt worden, Gottes geistige Geliebte, seine Braut zu werden …

Den vollständigen Artikel lesen Sie in Séparée No.11.

 

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