Der italienische Sommer neigt sich dem Ende zu, und sie geht vorsichtig in den See hinein, nimmt den Anblick des gegenüberliegenden Ufers auf und vertraut ihre Glieder, die noch warm sind wie Steine in der Sonne, langsam dem kühlen Wasser an. Als meine Freundin mir das Bild zeigt, das sie von diesem Moment aufgenommen hat, brauche ich den Bruchteil einer Sekunde, um zu erkennen, dass ich die Frau darin bin. In diesem Zeitspalt finde ich sie wunderschön. Ihre Figur, ihr farbenfroher Bikini und die herrliche Landschaft würden in einem Magazin nicht fehl am Platz aussehen.
Meine ersten Eindrücke, sobald ich den Körper mit mir selbst verbinde, verschieben sich dramatisch. Ihre Kurven, sobald sie meine sind, sind zu kurvenreich. Ihr eleganter Schritt wird unbeholfen. Ich frage mich: Wann habe ich gelernt, meinen Körper zu hassen?
Text: Giselle Bernard
Fotos: Jil M.
Als meine Schulfreundin erfuhr, dass ich mir noch nie professionell die Haare hatte schneiden lassen, rief sie aus: „Nicht einmal getrimmt?“. Vielleicht hätte ich sie beruhigen und mich schonen sollen, aber ich sagte ihr die Wahrheit: „Nein, nicht einmal das“. Sie beäugte mich misstrauisch. Das Haar, das sie immer so hübsch gefunden hatte, war plötzlich gespalten, die Spitzen waren kaputt. Sie konnte es sehen, nicht wegen dem, was ich ihr gerade gesagt hatte, natürlich nicht, es war eklatant offensichtlich und es musste etwas getan werden. Es gehe nicht ums Aussehen, argumentierte sie, es gehe um die Gesundheit, um Hygiene. Meine Unachtsamkeit sei ziemlich unverantwortlich. Das Ganze war eine Wissenschaft und jeder schien ein Experte zu sein, außer mir. Haareschneiden, Haarspülungen, Deos und zweimal täglich duschen, Intimhygieneprodukte mit Namen wie Femina statt Seife, Feuchtigkeitscreme für die mit Rasiermessern abgeschabte Haut, Peelings, um die Haut glatt zu machen, Abdeckstift, Getränke, um Fett zu verlieren. Eine Welt der Technologie im Dienste dieser weiblichen Realität, in die man mich nicht eingeführt hatte. Dass man sich freiwillig für Alternativen entscheiden konnte, kam nie zur Sprache. Die heiligen Regeln lauteten: polieren, desodorieren, reduzieren, ausradieren. Und ähnlich wie bei einer Pandemie keine Maske zu tragen, war die Missachtung dieser Regeln nicht nur eine Schande für das eigene bedauernswerte und schmutzige Selbst, sondern ein Affront gegen die Aufgeklärteren und Gesetzestreuen, die dafür sorgen, daran zu erinnern.
Ich habe schöne Augen, so hat man mir gesagt. Ein grüner Blauton, der mit Gold gesprenkelt ist. Eine Freundin sagte einmal, gute Augen und gutes Haar seien der Trostpreis für die Hässlichen. Dieser Satz geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht werde ich deshalb nie wissen, ob ich schön bin oder nicht. Der Spiegel sagt die Wahrheit nicht. Die Bilder sind stumm. Es ist keine Frage, die man in der Hoffnung auf eine ehrliche Antwort stellt.
Als Kind sagte mir mein Vater einmal, ich solle den Bauch einziehen. Als ich fragte, warum, sagte er, als ob es selbsterklärend sei: „Weil es besser aussieht!“. Vor meinen Schwestern und mir verspottete er meine Mutter wegen ihres Gewichts und ihrer Essgewohnheiten. Zu viel Schokolade. Und warum wollte sie uns nicht sagen, welche Zahl beim letzten Wiegen auf der Anzeige stand? In der Schule musste jedes Mädchen, das ich kannte, abnehmen. Es war eine universelle Regel, die selbst für die Dünnsten galt, und so gab es, wie ein immer weiter zurückweichender Horizont, kein klares Ziel, sondern nur eine Richtung: weniger.
In einem Modemuseum bestaunten meine Freundin und ich, als wir die Korsetts anprobierten, unsere schlanke Figur. Sie machte viele Fotos: ein Versprechen von dem, was sein könnte und das dank eines so einfachen Tricks. Während meines ersten Jahres an der Uni fühlte ich einen Anflug von Stolz, als ein Typ auf einer Party uns mitteilte, dass ich von uns vier Freundinnen als einzige einen flachen Bauch habe. Ich fühlte damals die Freude der Fügsamkeit, eine Belohnung für die, die auf der richtigen Seite der ungeschriebenen Normen stehen. Aber selbst das war nicht genug. Ich lief Gefahr, mich in ein flaches Schneidebrett zu verwandeln, während ich doch ein ganz anderes Vorbild anstrebte: die Sanduhr. Zu wenig, zu viel.
Während meiner gesamten frühen Teenagerzeit las ich in Mädchenzeitschriften über den mir bevorstehenden Wandel zur Frau. Man sagte mir, mein Körper würde sich so verändern, dass ich mich unwohl darin fühlen würde. Ich wappnete mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Neugier, aber die seismische Verschiebung blieb aus. Die ersten paar Blutstropfen waren kaum welterschütternd, der Schmerz, der später kam, war etwas stärker. Die meisten dieser Jahre verbrachte ich damit, meinen Körper als etwas zu betrachten, das mehr oder weniger dekorativ an meinem Gehirn baumelte. Meine Brust entwickelte sich nie zu etwas Vollem, Schwerem oder Symmetrischem, und es dauerte eine Weile, bis ich aufhörte zu warten. Natürlich veränderte sich mein Körper, aber diese Veränderungen liefen viel unterschwelliger: als lang anhaltende Unterströmung, sowohl unter der Oberfläche meiner Haut als auch darüber. Sie waren kein allmächtiger Tsunami. Ich konnte mich immer wiedererkennen. Die meisten meiner Tage verliefen ähnlich wie die vorherigen, ähnlich wie die nächsten. Dennoch wurde es, Brüste hin oder her, bald notwendig, die Brustwarzen zu verbergen, die durch T-Shirts sichtbar waren. Außerdem wurde mir versprochen, dass ich durch das Tragen von Push-up-BHs Zutritt zu Clubs und allen möglichen Abenteuern erhalten würde, während ich noch minderjährig war. Zu viel, zu wenig.
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Den gesamten Text lesen Sie in Séparée No.27.