Das beste Date

In Zusammenarbeit mit JOYclub präsentieren wir hier die Gewinnergeschichte aus dem Schreibwettbewerb „Lust und Lagerkoller".

Ich habe eine kleine – sagen wir mal – Passion. Gut, man könnte auch Sucht dazu sagen, aber das klingt immer gleich so schlimm. Passion oder Leidenschaft, das klingt besser.

Ich date. Und zwar ständig. So oft ich nur kann. Es ist zu einer Art Hobbysport geworden. Ich weiß nicht mehr, wann es anfing. Ein schleichender Prozess, wie so oft bei Süchten. Die Droge war leicht zu bekommen. Hier ein Like, dort eine kurze Konversation, nach fünf Minuten hatte ich meine Verabredung klargemacht. Mein Terminkalender war minutiös durchgetaktet: Frühstück mit Martin, kurze Arbeitsphase, dann Lunch mit Tobi, wieder ein bisschen arbeiten, Gassirunde mit Sebastian, danach arbeiten und Feierabenddrink mit Ben.

Nicht alle Tage waren so, aber viele. Immer was zu tun, ständig neuer Input, ständig neue Menschen. Manchmal war ich über mich selbst erstaunt, wie ich das nur schaffte. Meine Freunde sahen dabei zu, ungläubig und kopfschüttelnd ersparten sie sich irgendwann kritische Bemerkungen über mein Suchtverhalten. Es gab mir so viel: Aufmerksamkeit, Abwechslung und schlichtweg Gesellschaft. Freunde haben schließlich auch nicht immer Zeit.

Bei einem Date kann ich sein, wer ich will. Ich schlüpfe in Rollen, spiele mit meinem Gegenüber. Mal bin ich die ruhige, geheimnisvolle Diva in halterlosen Strümpfen, mal bin ich „the girl next door“ mit dem Hund oder die dominante Business-Frau, die zwischen zwei Meetings mal eben ‘nen Mann verspeist. Wer ich wirklich bin, das weiß keiner der Jungs. Weder Ben noch Martin, Tobi, Sebastian oder wie sie alle heißen. Und das ist gut so.

Meine Freunde füttere ich bei gemeinsamen Abenden wohl portioniert mit kleinen Dating-Geschichten, ich unterhalte sie damit, alle hören gespannt zu, sie lachen laut oder schweigen mit leicht geöffnetem Mund, wenn ich ihnen verrückte Details meiner Dates als Häppchen vor die Füße werfe. Dadurch habe ich wieder Aufmerksamkeit, ich stehe im Mittelpunkt, ich bin der Star. Alle lieben mich für meine irrwitzigen und verrückten Geschichten und für die Art, wie ich sie erzähle.

Doch dann der Lockdown. Schotten dicht. Von einem auf den anderen Tag. Keine Dates! Keine Freunde! Keine Geschichten! Wie jeder Junkie versuche ich mich vorerst mit Ersatz zu befriedigen. Ich chatte mit Männern, versuche online meine Verlangen zu stillen und stopfe mich mit Süßkram voll. Doch es reicht mir nicht, es ist nicht dasselbe. Es gibt mir nicht den Kick. Okay, denke ich. Vielleicht ist es Zeit für einen Entzug. „Ich ziehe das jetzt durch, ich schaffe das!“, rede ich mir als Mantra ein.

Und mittlerweile? Seit sechs Tagen habe ich die Wohnung nicht mehr verlassen. Der kalte Entzug ist härter als gedacht. Ich leide Höllenqualen, fühle mich eingesperrt. Allein mit meinen Gedanken. Zunehmend verwahrlost stehe ich im bekleckerten Bademantel vor dem Spiegel: Das bin ich. Ganz echt, ohne Show, im wahrsten Sinne ungeschminkt. Es ist die Rolle, die ich nie spielen wollte: eine traurige, einsame Frau mit offensichtlichen Minderwertigkeitskomplexen. Ich hasse mich selbst und sehne mich so sehr nach Aufmerksamkeit, nach Liebe, nach Zuneigung.

Doch plötzlich kommt mir eine Idee: Ich werde mich verabreden! Ich werde ein wundervolles Date haben, auf eine Art und Weise, die ich noch nie erlebt habe. Ich spüre wie Aufregung in mir aufflammt und dann spreche ich es laut aus: Ich date! Morgen schon! Wen? Mich selbst!

Am nächsten Tag ist es so weit: Ich kaufe etwas Leckeres ein, räume die Wohnung auf und koche mir ein tolles Menü. Dann entzottele und wasche ich mir die Haare und ziehe mir mein Lieblingskleid an. Ich setze mich an den gedeckten Tisch. Mir gegenüber sitzt mein Alter Ego. Wir beginnen, uns zu unterhalten. Es stellt mir viele packende Fragen, es hakt nach und merkt sofort, wenn ich nach Ausreden suche oder beginne zu flunkern. Es sind tiefsinnige Dinge, über die wir uns austauschen. Es fragt mich, warum ich mich so einsam fühle, warum ich diese Rollen spiele. Ich erzähle, wie es wirklich in mir aussieht und spüre, wie befreiend es ist, diesen Ballast endlich loszuwerden.

Mein Alter Ego fordert mich, wir lachen und weinen zusammen. Es macht mir viele Komplimente. Meine Seele ist aufrichtig berührt, denn ich kann einfach ich sein, ohne Rolle, ohne Maske, pur und authentisch. Die Zeit vergeht wie im Flug. Es ist bereits dunkel und ich habe es nicht mal mitbekommen. Ich stehe auf und stelle mich vor den Spiegel. Ich lächle mich selbst an.

Es war mein bestes Date seit Jahren. Zum ersten Mal seit langer Zeit habe ich Lust auf ein zweites Date mit derselben Person: mit mir.

Aktuelle Ausgabe

Newsletter



Unsere Auswahl

weitere

Beiträge

Noch mehr Lustvolles und Wissenswertes

Schaukeln zum Gipfel

Woran liegt es wirklich, dass Frau beim penetrativen Sex mit einem Mann so häufig nicht kommt? Nach einem Streifzug durch die Anatomie und Erkenntnisse zahlreicher Sexualwissenschaftler wird klar, männliche und weibliche Genitalien passen doch sehr gut zusammen. Der Knackpunkt für das Problem liegt ganz woanders.

Mehr lesen