Leidenschaft ist keine Frage des Gewichts

Wie Leben zur Lust wird, wenn man mit seinem Gewicht nicht mehr hadert, beschreibt die Bloggerin Roxana Kleuter.

Roxana Kleuter betreibt u.a. den Instagram-Account roxana.konfetti. Zunächst bloggte und postete sie über Mode und oberflächliche Themen, bis sie im Rahmen einer Kooperation mit einem großen Erotik-Unternehmen anfing, über Selbstbefriedigung, Toys und bestimmte sexuelle Praktiken zu reden. Dabei merkte sie, dass es vielen Frauen so geht wie früher ihr, weil sie sich in ihrem Körper unsicher fühlen.

 

Text: Roxana Kleuter
Fotos: Selbstporträts

Ich würde lügen, wenn ich behauptete, immer glücklich und zufrieden mit mir gewesen zu sein. Wenn ich an meine Teenager-Zeit und erste sexuelle Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht zurückdenke, muss ich schmunzeln. Ich zündete oft Kerzen an, nicht der romantischen Stimmung wegen, sondern weil ich in einem Magazin gelesen hatte, das Licht schmeichle dem Körper und lasse Problemzonen verschwinden. Medien bestimmten damals wie heute unser Bild von dem, was der Norm entspricht. Daran hat sich in Zeiten von Instagram und Co. wenig geändert. Doch wie lernt man, sich wohl in einem Körper zu fühlen, der nicht aussieht wie all die Frauen auf den Plakaten und Hochglanzbildern?

Obwohl ich früh, mit 14 Jahren, sexuell aktiv wurde, erlebte ich damals Sex ohne Leidenschaft und ohne ein Gefühl für mich selbst. Was ein Orgasmus ist, wusste ich nur vom Hören-Sagen. Ich mochte ältere Männer mehr, die wussten, was sie wollten und einen sehr weiblichen Körper zu schätzen wussten. Die Jungs in meinem Alter waren damit überfordert. Meine Mutter sorgte dafür, dass ich die Pille nahm – zehn Jahre lang. Sex blieb für mich aber auch in neuen Beziehungen immer etwas, was zwar dazugehört, für mich selbst aber nicht wichtig war. Es lag nicht an meinem Partner, dass ich keine Lust verspürte. Auch Selbstbefriedigung und andere Männer ließen mich kalt. Ich war eine Frau ohne Libido. Bis ich mich dazu entschied, die Pille abzusetzen.

Plötzlich verspürte ich eine unglaubliche Lust: Lust auf meinen Partner, auf andere Menschen und nicht zuletzt auf mich. Es konnte passieren, dass mich ein Kribbeln in der Öffentlichkeit durchlief. Es war, als liefe meine Vulva neben mir her, wie meine beste Freundin. Mit diesem Tag begann auch die Liebe zu mir selbst. Ich fing an, mich selbst zu befriedigen. Bei Kerzenschein und Reggae-Musik hatte ich ein Date mit mir selbst in meinem Bett. Elf Jahre nach meinem ersten Mal begann ich, mich selbst zu spüren und zu lieben. Masturbation half mir, meinen Körper kennen und schätzen zu lernen. Die neue Freiheit, die ich verspürte, belastete zunächst meine Beziehung. Nach vielen Gesprächen, die mich gleichzeitig lehrten, offener und ehrlicher zu sein, haben wir unsere Beziehung geöffnet. Erst vereinbarten wir, nur Sex mit anderen haben zu dürfen, was sich aber schnell änderte. Wir stellten viele Regeln auf, die uns als Wegweiser dienen sollten, um uns nicht zu verlieren. Ich setzte mich intensiv mit dem Thema offene Liebe auseinander und merkte, wie richtig diese Entscheidung für uns war. Für mich war es unglaublich befreiend zu wissen, dass ich Sex mit anderen Personen haben durfte, ohne es heimlich machen zu müssen. Umgekehrt darf auch mein Partner mit anderen Frauen intim werden. Mittlerweile haben wir beide noch einen weiteren festen Partner und leben ein polyamores Leben mit vielen Gefühlen und wundervollen Menschen. Die Regeln, die wir am Anfang aufgestellt hatten, haben sich überlebt, weil wir uns weiterentwickelt haben. Nur eine einzige Regel steht noch: Unser Schlafzimmer gehört nur uns beiden.

Für mich waren diese Schritte ein Weg zu mir selbst, denn ich fühlte mich jahrelang gefangen in meinem eigenen Körper. Oft werde ich gefragt, wie ich mit meinem üppigen Körper tollen Sex haben könne. Ich glaube tatsächlich, dass diese Frage nicht böse gemeint ist, sondern von der Unsicherheit zeugt, die viele Frauen erleben: Unsicherheit mit sich selbst, mit ihrem Körper und ihrer Lust. Sie sind gefangen in einem Bild, das die Gesellschaft uns eingeprägt hat. In jedem Schaufenster, in vielen Magazinen oder auf der Straße wird uns suggeriert, dass alles, was aus dieser künstlich geschaffenen Norm fällt, eben nicht „normal“ ist. Anpassen und nicht auffallen lautet für viele die Devise. Auf den Titelbildern dieser Welt sieht man dünne, durchtrainierte Körper und selbst die Pornoindustrie setzt eher, oder vielleicht auch lieber, auf schlanke Frauen. Ich habe nichts gegen schlanke Frauenkörper, aber ich verstehe mich als Aktivistin, die sich für Vielfalt und Gleichberechtigung in jeder Hinsicht einsetzt. Jeder Körper, egal welchem Geschlecht zugeordnet, ist schön. Keine zwei Körper sind gleich und genau das macht jeden von uns einzigartig. Wir sollten lernen, unseren Körper zu lieben und wert zu schätzen. Für all das, was er jeden Tag leistet. Ich weiß, wovon ich spreche, und ich weiß, dass es nicht einfach ist, sich nackt vor den Spiegel zu stellen und sich seiner selbst bewusst zu werden, sich selbst wohlwollend anzuschauen, sich schön zu finden. Aber wie sollen andere uns umwerfend finden, wenn wir es selbst nicht tun? Ein anderer merkt beim Sex schnell, ob man sich im eigenen Körper wohlfühlt oder nicht. Eines ist sicher: Sex macht mehr Spaß, wenn man sich nicht sorgt, ob der Bauch gerade flach genug aussieht oder ob man ein Doppelkinn hat.

 
 

Den gesamten Text lesen Sie in Séparée No.22.

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