Wie fühlt es sich an, anschaffen zu gehen, wenn man nicht muss? Vögelt man für Geld anders? Unsere Autorin wollte es wissen und hat es ausprobiert.
Text: Vera Kaum
Fotos: Africa Studio – Fotolia.com, Voyagerix – Fotolia.com
Sex ist mein größtes Hobby. Männer gehen ein und aus: Jene, die mich in teure Boutiquen lotsen und mich auf ihr Boot einladen, genauso wie Studenten, die jahrelang auf eine Radtour durch Neuseeland sparen. Intellekt ist mindestens genauso anziehend wie Macht und Geld. Ich mag sie, die Ausflüge in andere Leben, den Austausch auf allen Ebenen. Meine Freundin ist etwas restriktiver: „Warum arme Schlucker vögeln, wenn man auch die Reichen und Schönen haben kann?“ Ich stehe auf die Mischung. Aber ich gebe durchaus zu: Gegen das eine oder andere schicke Designerkleidchen wehre ich mich auch nicht. Manchmal frage ich mich, wo Prostitution beginnt. Bei einem 4-gängigen Essen in einem Haubenlokal mit klarer Erwartungshaltung? Bei einem Kleid, das ich mir selbst nie gönnen würde? Schwierig. Schließlich basiert alles auf 100%iger Freiwilligkeit. Alles kann, nichts muss. Ich liebe Sex. Suche ihn sowieso. Habe ihn sowieso. Warum also nicht mit ausgezeichnetem Essen und hervorragendem Wein im Magen? Das Kleidchen in die Ecke gepfeffert und los geht es: Genuss mit allen Sinnen.
Manchmal bin ich beruflich im Ausland. Eines Abends im Hotel mag sich nicht recht Müdigkeit einstellen. Mittlerweile ist es 22.00 Uhr. Schlaflosigkeit und Hunger lassen Abenteuerlust aufkeimen. Nach und nach beginnt das böse Mädchen in mir sich durchzusetzen: Ich möchte endlich wissen, wie es ist, für Geld zu vögeln. Ist es anders? Ich möchte wissen, ob ich es könnte: Anschaffen gehen. Einen Abend Edelnutte sein. Aber wo ist die Grenze für mich?
Ich blicke aus dem Fenster. Unter mir glitzert die Anonymität einer Millionenstadt. Aus meinen Augen glitzern Neugierde und Verlangen. Ich wähle ein klassisches, schwarzes Kleid, dazu edle Strümpfe, hohe Schuhe und schlichtes Make-up mit leuchtend rotem Lippenstift. Ein Luxushotel scheint mir ideal für mein Experiment. Vor dem mächtigen Eingangsportal überkommen mich Zweifel: Ist das illegal, was ich vorhabe? Werden sie mich rauswerfen? Werde ich zwar entlarvt, aber dennoch still geduldet, zur Unterhaltung der Gäste sozusagen?
Drinnen finde ich mich in der Hotelbar wieder. Auf einem kunstvoll gewebten Teppich befinden sich ausnehmend breite Lederstühle und kleine Beistelltische. Ich setze mich elegant und überkreuze die Beine. Der Prozess des Getränkewählens hilft, mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Ich blicke vor jedem Umblättern hoch, wähle einen Teil des Raumes, fotografiere ihn geistig, senke den Kopf wieder und überlege mir, ob im jeweiligen Bild potentielle Kunden vorhanden sind. Bevor es auffällig wird, klappe ich die Karte zu und bestelle einen Mojito. Am Tisch vor mir sitzt eine Familie. Daneben unterhalten sich zwei exklusiv gekleidete Frauen. Gegenüber von mir sitzt ein Mann. Ein einzelner Mann. Ist das ein möglicher Freier? Als ich das nächste Mal aufblicke, versuche ich, seine Augen zu fokussieren, seine mit meinen zu fangen. Ohne Erfolg. Er schaut nicht zu mir.
Da entdecke ich in der Ecke einen Zeitungsständer. Ein guter Vorwand, um nochmal aufzustehen. Ich will auf mich aufmerksam machen. In einem Winkel mit besonders wenig Licht entdecke ich einen weiteren Mann. Er ist zwar deutlich älter als ich, aber ich beschließe, ihn mir als nächstes vorzunehmen.
Ich blicke pseudovertieft in eine Zeitung. Im bereits bewährten Stil schaue ich bei jedem Umblättern in die Runde. Ich will mein Glück zunächst doch noch einmal bei dem Mann gegenüber versuchen. Neben ihm sitzt allerdings mittlerweile eine dunkelhaarige Frau – das erklärt natürlich einiges. Bleibt der ältere Mann im hinteren Winkel. Ich sehe ihn an – er sieht mich an. Und wie er mich ansieht. Richtig durchdringend. Ich werte das als Teilerfolg. Den nächsten Artikel lese ich tatsächlich. Man muss sich ein wenig rar machen.
Danach atme ich tief durch. Jetzt heißt es dranbleiben. Ich weiß nicht, ob er je weggesehen hat. Sein Blick ist statisch auf mich gerichtet. Wir starren uns an. Ich will schon den Kopf senken, da hebt er seine Hand und winkt mir freundlich zu. Eindeutig eine Einladung. Was tun? Was ist schon dabei? Noch bin ich keine Nutte, sondern eine Abendunterhaltung. Ich falte die Zeitung ordnungsgemäß in den Ausgangszustand zurück und gehe auf ihn zu.
„Guten Abend!“, begrüße ich ihn, „darf ich mich zu Ihnen setzen?“.„Gern. Das wollten Sie doch schon die ganze Zeit. Warum kommen Sie erst jetzt?“ Ich ignoriere die Frage und deute der Kellnerin, dass ich mich umgesetzt habe. „Winter“, sagt er, sobald sie weg ist. „Winter? Ich bin froh, dass es bald wärmer wird“, antworte ich. Er lächelt mich an. „Nein, nein. Hören Sie doch. Winter – von Vivaldi“. Tatsächlich. Jetzt muss ich lachen. „Ist nicht gerade mein Spezialgebiet.“ „Schade!“, entgegnet er. „Was ist schade?“, frage ich. „Dass Sie sich bislang noch nicht für die Schönheit der Klassik begeistern konnten.“ Das Eis scheint gebrochen. Ich fange gerade den zweiten Halbsatz an, da unterbricht er mich: „Möchten Sie mit mir nach oben kommen?“, fragt er erwartungsvoll. Aber Hallo! – Der geht vielleicht ran. Überforderungsalarm. Ich bremse ihn und überrede ihn, zunächst noch etwas gemeinsam zu trinken. Wir stoßen auf das „Du“ an, und es folgt ein Austausch über unsere Leben. Mit viel Wehmut in der Stimme erzählt er, dass er zwar verheiratet, aber trotzdem alleine ist. Mit noch mehr Wehmut erzählt er, dass sich im Herbst sein Sohn das Leben genommen hat. Ich ringe um Worte. Manchmal ist es besser, einfach nichts zu sagen. Wie ein Häufchen Elend sitzt er da und kämpft mit den Tränen. Die Farbe aus seinem Gesicht ist entwichen, sein Blick zu Boden gerichtet, seine Augen glänzen feucht vor Traurigkeit. „Weißt du, das Einzige, was mich jetzt noch am Leben hält, sind meine drei Enkeltöchter. Ich bin sehr stolz auf sie. Ich bin schon gespannt, wohin ihre Wege gehen werden.“ Mit jedem dieser Worte kehrt wieder Lebensfreude in den Mann neben mir. „Komm mit mir nach oben, Vera. Bitte.“ Puh. Mir ist grad alles etwas zu viel. Diese Emotionalität eines Fremden, diese tiefe Trauer, diese Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit. Die Geschwindigkeit. Wie lange kenne ich ihn jetzt? Vielleicht 15 Minuten? Ferdinand merkt mein Zögern. „Was möchtest du dafür?“, fragt er mich. „Wie – was ich dafür möchte?“, frage ich extra naiv. Er wird mir doch jetzt kein Angebot machen. Aus reinem Spieltrieb bin ich in den Abend gestartet, aber jetzt so mittendrin ist alles doch dynamischer als erwartet. Ich überlege hinauf zu gehen, weil ich ihn liebgewonnen habe, weil ich glaube, dass es ihm gut täte, ein wenig Haut zu spüren. Ohne Geld. Einfach so. Nach seinen Erzählungen ist mein Experiment so in den Hintergrund gewandert, dass ich total erstaunt bin, nun von ihm einen Vorstoß in diese Richtung zu hören. Ferdinand schweigt und nimmt einen Schluck von seinem Whiskey. Einen großen Schluck – in einem Zug leert er das Glas. „Ich gebe dir 400 Euro“, sagt er mit bestimmter Stimme. „Ferdinand, ich bin keine Nutte!“, antworte ich. „Ich weiß. Dennoch: 400 Euro. Du kannst das Geld sicher brauchen. Ich bin alt. Ich weiß nicht, wie oft ich diese Gelegenheit noch haben werde. Außerdem musst und solltest du wissen: Bei so einem alten Deppen wie mir geht ohnehin nicht mehr viel. Wir machen es uns oben einfach gemütlich. Ganz ohne Zwang und Stress.“ Ich höre in mich hinein. Die Vorstellung, Geld zu nehmen, turnt mich unglaublich an und in Wahrheit hatte ich mich längst entschieden. Trotzdem betone ich nochmals, dass ich noch nie Geld genommen habe. Scheint mir wichtig. Dann fahren wir nach oben in sein Zimmer.
Wie der Abend weiter verlief lesen Sie in Séparée No.15.
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