Sex im Alter

Wir sprechen so gut wie nie darüber, doch Liebe und Lust haben kein Verfallsdatum.

Wenn ich ein steinaltes Pärchen Händchen haltend und hellwach die Straße entlangzittern sehe, bleibe ich stehen und sehe den beiden nach. Ich frage mich, ob das den Höhepunkt ihrer Lust darstellt, gleichzeitig kann ich mir kaum vorstellen, dass Wünsche, Lust und Sehnsüchte vor körperlichem Verfall, Menopause, Andropause, Libidoverlust, Erektionsproblemen, Rückenleiden, Falten und hauptsächlich Schlaffheit halt machen.

 

Text: Carmen Buttjer
Foto: Katrin Trautner

Mehr Zeit, weniger Scham

Um zu wissen, wie sich das Alter anfühlt, fehlen mir etwa 43 Jahre. Ich frage zunächst meine Freunde, was sie über das Sexleben ihrer Großeltern wissen. Die Reaktionen sind einheitlich. Aus irgendeinem Grund hat sich die Überzeugung entwickelt, dass Sex im Alter nicht existent sei. Vielleicht sogar eklig. Niemand geht davon aus, dass seine Großeltern erotische Stunden verbringen. Doch gefragt hat sie ebenfalls niemand. Ich treffe eine Gruppe von Senioren, um zu erfahren, wie sich ihr Sex mit zunehmendem Alter entwickelt hat. Zunächst stelle ich dabei fest, dass alle aktiv sind. Jemand sagte: „Es ist näher und intensiver, für schnelle Nummern haben wir keine Zeit.“ Eine andere: „Wir lassen uns mehr Zeit, ja, trauen uns mehr und Scham ist irgendwann gar kein Thema mehr.“ Daneben stellt sich heraus, dass Sex, genauso wie bei den Jüngeren, auch im Alter für eine funktionierende Beziehung nach wie vor wichtig ist. Eine alte Dame erzählt mir, dass sie mit 76 den besten Sex ihres Lebens hatte. Mittlerweile ist sie 84 Jahre alt.

Als junger Mensch macht es Angst, den Verfall des Körpers und die damit einhergehenden Veränderungen bei alten Menschen zu beobachten. Auch wenn es noch weit entfernt scheint, ist das Wissen da, dass wir irgendwann zu ihnen gehören werden. Diese Ängste schaffen Hemmungen, schüren Zweifel, seine eigene Attraktivität nicht ewig konservieren zu können, doch neben dem Alter verändert sich noch etwas anderes bei den Senioren, was jegliche Angst nimmt: Mit den Falten kommt die Gelassenheit.

Immer weiter spielen

Liebe und Lust können zum Ende des Lebens so intensiv sein wie nie zuvor. Davon erzählt auch das Tagebuch des französischen Grundschullehrers Marcel Mathiot. Als seine Frau Geneviève nach 68 Jahren Ehe stirbt, beginnt der fast 90-jährige kein neues Leben als Witwer, sondern als Junggeselle. In seinem Tagebuch, welches bereits am 1. Januar 1927, lange vor seiner Ehe mit Geneviève, beginnt, erzählt er von seinen Liebschaften. Es endet zwei Tage vor seinem Tod: „Ich war dafür gemacht, jung zu sein, und je älter ich werde, desto klarer wird mir das.“ Der Körper altert und verfällt, gleichzeitig entspannt sich die Seele, der Sex bleibt eine Konstante.

Solange wir selbstbestimmt leben, mag alles so weitergehen wie bisher.Doch wie und wem teile ich meine Wünsche mit, sobald mein Alter den Umzug in eine stationäre Einrichtung erfordert? Wie bewahre ich einen Anteil meiner Selbstbestimmung, wenn mein Alltag bis hin zum Zeitpunkt, an dem ich schlafen soll, fremdbestimmt ist? Wo bin ich ungestört? Antworten gibt die gelernte Krankenschwester und Geschäftsführerin des Start-ups „Nessita“. Ihre Agentur hilft alten Menschen in stationären sowie ambulanten Pflegeeinrichtungen, ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Im Sommer 2014 ging Gabriele Paulsen mit ihrem Unternehmen „Nessita“ online.

 

Das Interview mit Gabriele Paulsen lesen Sie in Séparée No.7.

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